Die Ära Hans Melzer ist Geschichte, Peter Thomsen, der neue Bundestrainer der Buschreiter, hat seine  Arbeit aufgenommen. Die Zeit drängt. Mitte September gibt’s in Pratoni del Vivaro, unweit von Rom, die Weltmeisterschaft, den Höhepunkt der Saison 2022. Und die gilt zugleich als Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Im Gespräch mit der FN-Presse hat Peter Thomsen, 2008 in Hongkong und 2012 in London Mitglied des deutschen Gold-Teams, dieser Tage die Marschroute für die kommenden Wochen und Monate skizziert: „Nach den Frühjahrsturnieren haben unsere Reiter die Wahl zwischen Marbach, Pratoni del Vivaro oder Baborowko in Polen. Marbach ist für uns eine wichtige nationale Prüfung, immer gut für den Saisoneinstieg. Außerdem findet dort das Berufsreiter-Championat statt. Pratoni ist insofern wichtig, weil es ein Nationenpreisturnier ist und eine Art von Generalprobe für die WM.“ Wichtig zu wissen an dieser Stelle: Als „Schnupperkurs“ im Vorfeld der WM veranstalten die Italiener bereits im Mai eine Art von Testevent.

Weiter mit Peter Thomsen: „Zwei unserer Kaderreiter planen demnächst die Reise zu den Fünf-Sterne-Klassikern: Michael Jung startet Ende April in Lexington/Kentucky, Christoph Wahler in Badminton. Die Fünf-Sterne-Prüfung in Luhmühlen planen Andreas Dibowski, Sophie Leube, Dirk Schrade und Sophie Schnaufer. Für sie alle ist das eine Premiere!“ Und dann seine Vorausschau: „Nach Aachen Ende Juni werden wir die sogenannte Longlist für die WM aufstellen, die letzte WM-Sichtung läuft danach in Haras du Pin in der Normandie (11. bis 14. August). Dort wird die Shortlist nominiert.“

Was erwartet der neue Bundestrainer bei der WM vor den Toren von Rom? Seine Antwort: „Das wird ein Championat, das im Gelände entschieden wird. Der Parcourschef Guiseppe della Chiesa, der ja auch schon in Badminton gebaut hat, ist bekannt dafür, dass er nicht zimperlich ist, was die Höhe der Hindernisse und die technischen Anforderungen betrifft. Ich erwarte einen Kurs im oberen Maß mit vielen technischen Raffinessen, aber trotzdem immer fair und reitbar. Fehlerfreie Runden werden entscheidend sein und natürlich die gute Kondition der Pferde. Oberstes Ziel für uns ist wie immer eine Mannschaftsmedaille. Die Konkurrenz ist stark: die Briten, Australier, Neuseeländer und die Franzosen.“

An dieser Stelle darf ich auf meine eigenen Erinnerungen zu sprechen kommen. Anno 1998 gab’s, die älteren Hippologen wissen Bescheid, die Weltreiterspiele (WEG) in der „ewigen Stadt“. Die Buschreiter hatten seinerzeit ihre WM ja wo? – Genau, in Pratoni del Vivaro, ein paar Kilometer außerhalb. Und wer ritt damals für Deutschland? Richtig, Peter Thomsen, sein Pferd war Warren Gose. In meinem über die vielen Jahre fleißig gepflegten Hausarchiv (Ich habe echte Zeitungsausschnitte aufgehoben, so richtig alte Schule!) finde ich, passend zu Pratoni 2022, einen Artikel von mir aus der Stuttgarter Zeitung unter der Überschrift „Sorgen bei der Military“. Es war also die Zeit, da das Gelände im alten Format über mehr als 26 Kilometer ging, unterteilt in Wegestrecken, die obligate Rennbahn und den eigentlichen Geländeritt.

Ich zitiere meinen Text von 1998: „Noch nie ist ein wichtiges Championat für die deutschen Vielseitigkeitsreiter so mies gelaufen wie diese WM von Rom. Als Bettina Overesch, die amtierende Europameisterin, mit ihrem Watermill Stream zur obligaten Tierarztkontrolle erschien, war sie noch Zweite im Rekordfeld der 92 gestarteten Reiter. Doch Minuten später wurde die 35-jährige eliminiert – denn ihr Pferd lahmte.

Pech hatte auch die WM-Debütantin Inken Johannsen, deren Stute Brilliante im Schlussparcours stürzte, was ihre Reiterin auf Platz 29 zurückwarf. Peter Thomsen, der im Gelände aus Unachtsamkeit von seinem Pferd Warren Gose in den Wasserteich fiel, wurde nur 43. Und die so erfahrene Marina Loheit stürzte im Gelände, musste leider disqualifiziert werden, weil sie im Eifer beim Weiterreiten ein Hindernis zweimal gesprungen war – ein unverzeihlicher Anfängerfehler.

Damit war die deutsche Equipe gesprengt, lag auf dem letzten Platz, und war nicht für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney qualifiziert. Die letzte Chance dafür bietet sich bei der EM 1999 in Luhmühlen. Bundestrainer Martin Plewa sagte in Rom: „Für uns wird es verdammt eng!“ Um es korrekt nachzutragen: Marie-Jeanette Steinle und ihr Traque le Vent wurden 23., Simone Böckmann belegte mit Chicoletto Platz 27. (Marie-Jeanette Steinle vom Ammersee ist übrigens mit dem Schauspieler Heino Ferch verheiratet.)

Das Desaster von Rom konnten unsere Buschreiter 1999 vergessen machen, denn sie schafften die „Quali“ für die Olympischen Spiele in Sydney mit EM-Silber in Luhmühlen. Wichtig zu wissen: Nach den damals geltenden alten Regeln durfte, wer im Gelände oder im Parcours vom Pferd gefallen war, wieder aufsitzen und weiterreiten. Das gäb’s heute nicht mehr. Ich vermute, dass sich kaum jemand von denen, die damals in Pratoni für Deutschland am Start waren, gerne an jene WM erinnert. Hoffen wir also, dass das kein schlechtes Omen ist für alle, die im kommenden September für Deutschland an der WM 2022 teilnehmen. Es wird die erste echte Bewährungsprobe für den neuen Bundestrainer Peter Thomsen.