Die NDR-Fernsehkollegin Maren Höfle hat ein dickes Kompliment verdient: Ihr Rückblick auf die Reiterkarriere von Alwin Schockemöhle und ihr einfühlsames Portrait des Menschen Alwin Schockemöhle erinnern an die ganz großen Zeiten der deutschen Springreiterei, zugleich machen einen die uralten Schwarz-Weiß-Streifen enthusiastisch, ja sie rühren uns zugleich an – welch eine Lebensleistung mit Höhen und Tiefen! Morgen wird Alwin Schockemöhle auf seinem Anwesen in Mühlen 85 Jahre alt. Viele, viele Glückwünsche erreichen ihn in diesen Tagen. Den Film von Maren Höfle gibt’s in der Mediathek vom NDR-Sport. Anschauen ist eine Ehrenpflicht!  

In einem meiner letzten Blogs über das „hippologische Momentum“ habe ich versucht, diesem besonderen Jubilar gerecht zu werden. Günter Büsing aus der Wesermarsch hat mir dazu ein Mail geschickt mit einem alten Zitat von Alwin: „Der Schlaufzügel ist das Rasiermesser in der Hand des Affen!“ Schockemöhle wusste also von Anfang an sehr wohl, was seine Erfindung des Schlaufzügels in der Praxis bedeuten würde: Eine Hilfe für die Erfahrenen und für die Könner in der Ausbildung ihrer  jungen Talente – eine ernste Gefahr aber für alle diejenigen, die den Sinn und die Wirkungsweise dieser Hilfszügel entweder gar nicht erkennen können oder aber schlichtweg ignorieren.

Und mit diesen Schlaufzügeln war’s damals in den Sechzigern wie mit so Vielem: Die einen schwören darauf, die anderen lehnen es rundweg ab. Reitmeister Robert Schmidtke beispielsweise, bei dem ich Ende der sechziger Jahre Bereiterlehrling war, lehnte Schlaufzügel für die Ausbildung der Dressurpferde ab; in unserer Sattelkammer existierten gar keine. Auf den Abreiteplätzen für die Springprüfungen der damaligen Zeit sah man sie zuhauf. Manch ein sogenannter Springreiter machte folgende heftige Erfahrung: Man hielt die Schlaufzügel fest im Griff, selbst am Absprung und über dem Hindernis – die Landung endete häufig als Rolle vorwärts. Viele glaubten ernsthaft, was der Alwin kann, das könnten sie  ja auch. Welch eine Dummheit!

Es dauerte einige Jahre, ehe man höheren Ortes dazu überging, die Benutzung der Schlaufzügel einzuengen, ja ganz zu verbieten. Das war dringend geboten, spricht aber nicht gegen Alwin Schockemöhle. Erst lange Jahre später prägte der Aachener Hippologe Professor Heinz Meyer den Begriff der „Rollkur“, deren Wirkung eine weitaus heißere Debatte auslöste, als der Schlaufzügel. Den Pferden die Nasen vor die Bäuche ziehen – das wird mittlerweile zurecht geächtet. Aber wohlgemerkt: Alwin Schockemöhle zog die Nasen seiner Pferde nicht mit Kraftmeierei vor die Brust – er hatte seine Pferde stehts vor sich, gab vor und über dem Sprung mit den Händen entsprechend nach, was man auf den alten Bildern und in den alten Filmen sehr gut sehen kann. Darin zeigte sich der Unterschied vom souveränen Könner und Künstler im Sattel zum groben und unbelehrbaren Handwerker im Wortsinne.

Ganz kurz zurück zum eingangs erwähnten Günter Büsing aus der Wesermarsch, unweit von Rastede und Oldenburg. In meinem Antwortmail hab‘ ich ihn gefragt, ob er womöglich verwandt sei mit dem einstigen Military-Reiter Wilhelm „Willy“ Büsing. Darauf seine Antwort: „Anderswo heißen die Leute Maier, Müller oder Schulze, bei uns hier in der Wesermarsch heißen viele eben Büsing.“ Und selbstverständlich kenne er Willy Büsing, sei jedoch nicht verwandt mit ihm. Ich gab den Namen „Dr. Willy Büsing“ sogleich bei Google ein – und sieht da: Der Tierarzt, Pferdezüchter, Military-Reiter und langjährige Richter Dr. Wilhelm Büsing lebt im 101. Lebensjahr in der Wesermarsch. Ich bin beschämt, dass ich das nicht wusste, obschon mir sein Name seit langer Zeit ein Begriff ist.

Kurz und knapp für die Nachgeborenen: Willy Büsing aus Jade in der Wesermarsch ist der Sohn eines Pferdehändlers, er ist ein promovierter Tierarzt, dessen Doktorarbeit der Oldenburger Pferdezucht gewidmet ist. Bei den olympischen Reiterspielen von 1952 in Helsinki gewann er im Sattel von Hubertus Einzelbronze und Mannschaftssilber in der Military, gemeinsam mit Klaus Wagner und Otto Rothe. 1956 bei den Reiterspielen in Stockholm fungierte Willy Büsing als Tierarzt der deutschen Reiter.

Als HG Winkler im erste Umlauf des entscheidenden Springens einen Leistenbruch erlitt, aber zum zweiten Umlauf antreten musste, um seine Kollegen nicht im Stich zu lassen, verabreichte ihm Willy Büsing die dazu notwendige „Medikation“: Ein Zäpfchen in den Allerwertesten gegen die Schmerzen, dazu mehrere Tassen Kaffee, um nicht einzuschlafen und den Kreislauf flott zu halten. Das Ergebnis kennen wir: HG Winkler schrieb an diesem Nachmittag Sportgeschichte. Alles unvergessen. Meine persönlichen Grüße und besten Wünsche gelten heute diesen beiden: dem Jubilar Alwin Schockemöhle zum 85. und dem großartigen, 101-jährigen  Willy Büsing!