Im fortgeschrittenen Alter – ich weiß, wovon ich rede – tut es einem ziemlich gut, nicht ständig zum alten Eisen verdrängt, sondern hie und da auch mal gebraucht zu werden. Ludger Beerbaum, immerhin schon 58 Jahre alt, erlebt in diesen Tagen diese besondere Wertschätzung. Sein alter Freund und Kontrahent Otto Becker, der Bundestrainer, hat Ludger freundlich gebeten, ihm aus einer sportiven Notlage zu verhelfen. Beim Preis der Nationen in Hickstead werde es personell etwas eng, wie man so sagt – gar kein Problem für unseren Ludger: „Ich helf‘  da gerne. Allerdings ist es kein Rücktritt vom Rücktritt!“

Fünf Jahre ist es nun schon her, da erklärte Ludger Beerbaum seinen Rückzug aus dem Nationalkader. 2016 war’s in Rio, wo Ludger soeben mit einem fulminanten Ritt im Stechen gegen die Kanadier unserer Equipe die Bronzemedaille gerettet hatte. Seine Schwägerin Meredith, dazu Daniel Deusser und Christian Ahlmann – alle vier freuten sich, auf dem olympischen Treppchen zu stehen. Nach mehr als einhundert Starts für Deutschland in Nationenpreisen und fast vierzig Jahren an der Weltspitze sei es jetzt genug, so Ludger Beerbaum damals am Rande des olympischen Parcours.

Ich erinnere mich noch gut: In einem Gespräch mit mir, das ich seinerzeit für die Stuttgarter Zeitung führte, sprach Ludger diesen Satz: „Wenn bei mir mal die Fünf davorsteht, mach‘ ich Schluss!“ Er meine damit, spätestens mit fünfzig aus dem ganz großen Sport auszusteigen. Heute lächelt er und zuckt mit den Schultern, wenn ich ihn treffe und darauf anspreche. Er hat ja recht: Jeder muss selbst entscheiden, wann es genug ist – Hauptsache, er oder sie schafft es, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen bzw. zu erkennen. Das ist gar nicht so leicht, wie manches prominente Beispiel zeigt. Namen verkneife ich mir an dieser Stelle.

So ist also die aktuelle Lage. In Hickstead, beim britischen CSIO, treten Phillip Weishaupt, Marcus Ehning, Tobi Meyer und eben Ludger Beerbaum für Deutschland an. In einem der Auftaktspringen hat der Altmeister aus Riesenbeck mit seiner zehnjährigen Oldenburger Schimmelstute Mila schon mal 40 Euro Preisgeld kassiert. Ein bescheidener Anfang – in den kommenden Tagen wird’s bestimmt noch besser. Wie gesagt, Ludger hat von vornherein klipp und klar gesagt: „Das wird kein Rücktritt vom Rücktritt!“ Tja, warten wir’s mal ab. Gesetzt den Fall, das Quartett mit den beiden befreundeten Altmeistern Ehning und Beerbaum siegte glanzvoll in Hickstead und demnächst bei der WM in Herning liefe es nicht so glatt wie erhofft – wir wollen es nicht beschreien: Womöglich muss Otto Becker alsbald  nochmal in Riesenbeck anrufen und Ludger ganz offiziell sagen, es herrsche mal wieder Not am Mann. Wer kann da schon nein sagen, wenn das Vaterland ruft?!