Viermal hintereinander haben nun deutsche Springreiter den Großen Preis von Aachen gewonnen – das Springen mit dem weltweit höchsten sportlichen Prestige. Wer auf der großen Siegerliste in der Soers steht, der darf sich ganz sicher sein: Er bleibt in den Annalen unseres Sports unvergessen. Das gilt also für den aktuellen Sieger vom Sonntag, Andre Thieme und seine Chakaria, ebenso für die Gewinner Marcus Ehning mit Stargold 2023, Geritt Nieberg mit Ben 2022 und Daniel Deusser mit Killer Queen 2021.

Mein Kollege Dieter Ludwig, ein Veteran des Journalismus rund um die Pferde, hat mit Andre Thieme über seinen schönsten Triumpf gesprochen und unter anderem dies zur Antwort bekommen: „Ich war in La Baule, beim französischen CSIO im Teamspringen, nicht gut genug und hatte auch hier in Aachen mit meiner Stute in jedem Umlauf im Nationenpreis jeweils vier Strafpunkte. Ich hatte also meine Chance, konnte sie aber nicht nutzen. Deshalb ist es in Ordnung, nicht für Paris nominiert worden zu sein.“ Er freue sich jetzt besonders auf das CSIO von Canada in Spruce Maddows.

Als nächstes, so Andre Thieme, werde er im schwedischen Falsterbo antreten, wo auch ein Nationenpreis anstehe. Mit ihm in der deutschen Equipe seien Sandra Auffarth, Sophie Hinners und Carsten-Otto Nagel. Wer demnächst im Rahmen der Global Champions Tour bei Ludger Beerbaum in Riesenbeck antritt, weiß ich noch nicht so genau: natürlich die beiden für Olympia nominierten Lokalmatadore Christian Kukuk und Philipp Weishaupt. Wahrscheinlich aber auch Christian Ahlmann, Daniel Deusser und Marcus Ehning. Sicherlich auch Kendra Brinkop, die in der Soers allerhand getan hat für ihren rasant steigenden Bekanntheitsgrad.

Im Blick auf Andre Thieme ist mir die alte Volksweisheit „Bescheidenheit ist eine Zier“ in den Sinn gekommen. Der 41-Jährige aus Plau am See trägt sein Herz auf der Zunge, verbirgt sich nicht hinter langweiligen Phrasen. Ich sehe ihn noch vor mir, als er bei der WM in Herning 2022 über einem riesigen Oxer aus dem Sattel katapultiert worden war und in hohem Bogen in den Sand gestürzt. Er kam zu uns Medienleuten, noch immer fassungslos, wie ihm das hatte passieren können. Und er räumte diese bittere Niederlage ein.

Auch vergangenen Donnerstag, nach dem enttäuschenden sechsten Rang im Preis der Nationen in der Soers, redete Thieme nicht darum herum: „In jedem Umlauf einen Abwurf, das ist zu viel. Jana und Kendra haben geliefert, Christian und ich nicht.“ Auch Cristian Kukuk äußerte sich selbstkritisch ohne Umschweife oder gar mit dem Versuch, die Schuld bei seinem Pferd zu suchen oder bei äußeren Umständen.

Aus dem Kreis des Springausschusses war übrigens zu hören, dass man mit Überzeugung Jana Wargers als Reservereiterin nominiert habe. Allerdings müsse sie mit Dorette nach Paris reisen – der nun 15-jährige Limbridge sei leider zu alt. Schade, denn genau dieser Limbridge, gezüchtet von Ralf Pawlowski in Heidenheim auf der Ostalb, hatte im Nationenpreis vor ausverkauftem Haus zwei Nullrunden vom Feinsten gezeigt. Manchmal beschreiten Funktionäre seltsame Pfade.

Was die Bescheidenheit angeht, so rate ich zu dieser Tugend auch im Falle von Isabell Werth und Wendy de Fontaine. Zugegeben, mehr als 89 Prozentpunkte in der Kür – da lässt sich’s nicht meckern auf hohem Niveau. Isabell hat am Sonntag in der Soers eine herausragende Leistung abgeliefert. Stärker noch erscheint mir die Tatsache, dass sie die Stute seit dem vergangenen Januar auf ihre Reitweise umgestellt und kontinuierlich aufgebaut hat. Das Pferd ging jetzt in Aachen an allen Tagen um ein bis zwei Stufen besser als es seinem Ausbildungsstand eigentlich entspricht.

Hoffen wir also, dass Wendy diese Form bis in den August hinein halten kann. Dass jetzt bereits die ersten Stimmen es für möglich, ja sogar für wahrscheinlich halten, Isabell und Wendy würden in Versailles bei der Vergabe der Goldmedaille in der Kür ein gewichtiges Wörtchen mitsprechen – typisch deutsch. Wichtig sind zunächst einmal Grand Prix und Spezial, die beide zählen für die Mannschafts-Medaillen. Erst danach kommt die Kür der Einzelreiter. Der Teamwettkampf steht absolut im Vordergrund.

Wer sind die Favoritinnen? Natürlich Jessica von Bredow-Werndl, Littie Fry und Charlotte Dujardin. Für die Teammedaillen braucht es, das zeigt die Erfahrung, Ritte über die Marke von 80 Prozent, die Medaillen in der Kür hängen jenseits der 90-Prozent-Marke. Das sind die Fakten.

Alles in allem. Bescheidenheit ist eine Zier! Das gilt auch für diese aktuellen Tage und Wochen im Vorfeld der Olympischen Spiele.