Andre Thieme, der blonde Reiter aus Plau am See, hat eine merkwürdige, ja fast kuriose Saison 2024 hinter sich. Im Nationenpreis von Aachen überzeugte er nicht, vergab damit die Chance, im Trio für Paris zu stehen. Und dann am Sonntag glänzten Andre und seine Chakaria im Großen Preis, trugen sich in die legendäre Siegerliste ein, bekamen 500 000 Euro Prämie. Und während bei uns in Europa so langsam die Sonne untergeht, sattelt Andre Thieme beim weltberühmten kanadischen Topturnier von Spruce Meadows bei Calgary. Otto Becker, unser Bundestrainer, möchte gerne am Samstag den mit 445 000 US-Dollar dotierten Preis der Nationen gewinnen. Als kleines Ausrufezeichen in der Rückschau auf die phantastischen Spiele von Versailles.
Vom 4. bis 8. September gibt’s auf dem größten Reitgelände in Kanada die 49. Auflage des Rolex Masters, 1971 begonnen von der berühmten Reiterfamilie Southern auf 80 Hektar Farmland am Fuß der Rocky Mountains. Mittlerweile zählt Calgary zu den am höchsten dotierten Springturnieren der Welt: In dieser Woche geht es sage und schreibe um 3,414 Millionen US-Dollar. Wichtigste Prüfung ist der Große Preis am Sonntag, dotiert mit 2,215 US-Dollar. Traditionell reitet man in Calgary auf Gras. Parcourschef ist übrigens der Venezolaner Leopoldo Palacios.
Zunächst zum deutschen Aufgebot: Neben Andre Thieme, der nach seinem Aachen-Sieg die Chance besitzt, ans ganz große Geld heranzukommen, hat Otto Becker den Olympiateilnehmer Richard Vogel mit United Touch nominiert; wir erinnern uns, dass Richard in der Soers die Siegchance im Großen Preis leider nicht nutzen konnte – Andre Thieme hatte das glänzende Ende für sich.
Ebenfalls mit von der Partie sind Jana Wargers, Jörne Sprehe und Daniel Deusser, der Calgarysieger von 2022. Mir scheint, Otto Becker berücksichtigt bei seinen Nominierungen sehr gerne Reiterinnen und Reiter, die bereit sind, mit ihren Pferden loszufahren, wenn der „Bundes-Otto“ sie ruft. Wer sich für Otto den Hintern aufreißt, ums mal so zu sagen, der wird belobigt und berücksichtigt.
(Nochmal sei’s hier und heute gesagt: Otto hat sehr großen Anteil am Olympiasieg von Christian Kukuk. Nicht nur, dass er persönlich Checker als junges Klassepferd erkannt und bei sich ausgebildet hat – sein Vertrauen in die Beerbaum-Profis, zu denen ich auch Richard Vogel zähle, war vollauf gerechtfertigt. Wirklich schade, dass die Medaille in der Teamwertung so knapp verfehlt wurde. Schaun mer mal, ob sich Richard Vogel in Spruce Meadows rehabilitieren kann.)
Natürlich trifft sich alle Jahre wieder Anfang September die absolute Weltelite in Calgary: Wie von mir schon vermutet, wollen sich Martin Fuchs und Steve Guerdat am liebsten nochmal und nochmal in die Rolex-Siegerlisten eintragen. Zugegeben, Steve hat in Paris verdient Silber gewonnen – aber der Stachel in Sachen Teamfinale sitzt doch tief bei unseren Freunden aus der Schweiz.
Sodann sehen wir die üblichen Verdächtigen: Scott Brash, Ben Majer, Kevin Staut, Tiffany Foster und Amy Millar (für Kanada), Conor Swail und Daniel Coyle, Max Kühner und nicht zuletzt Rodrigo Pessoa, dem in Versailles leider das Glück nicht hold war.
Am Ende nochmal zurück zu Andre Thieme. Die Rolex-Presseleute haben ihn aktuell befragt: Was war das Besondere an Ihrem Sieg in der Soers? Antwort: „Es war ein besonderes Erlebnis. Als ich im Nationenpreis zwei Abwürfe hatte, war mein persönliches Team unendlich enttäuscht, weil wir wussten, dass das das Ende der Hoffnungen auf Olympia war. Aber als ich am Sonntag den Großen Preis gewonnen hatte, wendete sich das Blatt. Unser Team sagte sich immer wieder: Dieser Sieg ist noch besser als die Teilnahme an den Olympischen Spielen.“
Zum Schluss noch ein historischer Hinweis: Genau in einem Jahr feiert man in Calgary das 50. Turnier. Das gibt ganz bestimmt eine Riesen-Sause – ob mit oder ohne Andre Thieme.
Aktueller Nachsatz. Rene Dittmer, in den USA bekannter als hier bei uns, hat am vergangenen Sonntag bei den Longines Hampton Classics auf der Holsteinerin Corsica den Großen Preis gewonnen, dotiert mit 400 000 US-Dollars, davon 132 000 Dollar für den Sieger. Chapeau!