„Wenn ich im Gremium der FN tätig wäre, würde ich wahrscheinlich dafür plädieren, das Touchieren ganz zu verbieten.“ Das ist für mich der Kernsatz, den Christoph Hess (71), international renommierter „Ausbildungsbotschafter“ der FN, in seinem Interview mit dem in Baden-Württemberg erscheinenden „Reiterjournal“ dieser Tage gemacht hat. Obwohl Hess, der „Gralshüter“ der klassischen Ausbildung von Reitern und Pferden, das Touchieren „für eine akzeptable Trainingsmethode in Ausnahmefällen“ hält, fordert er, die „Ethischen Grundsätze“ zu überarbeiten und neu herauszugeben.

Zu der TV-Reportage des Senders RTL, die vor Wochen den Fall Beerbaum ins Rollen gebracht hat, sagt Christoph Hess gegenüber dem „Reiterjournal“: „Das, was auf den Videos zu sehen ist, entsprach nicht den geltenden Regeln. Auch wenn ich es nicht für tierschutzwidrig gehalten habe. Die Stange wurde von unten, deutlich tiefer als sie normal in der Auflage liegt, angehoben. Das ging eher in Richtung des Barren als in Richtung des Touchierens.“ Und weiter: „Ich bin mir recht sicher, dass das laute Geräusch bei der Berührung im Tonstudio entstanden ist. Das soll die Sache auf gar keinen Fall entschuldigen, aber ein Stück weit relativieren. Beim Zuschauer wurde damit ein falscher Eindruck erweckt.“

Im Rückblick auf die Barr-Affäre um Paul Schockemöhle im Jahr 1990 sagte Christoph Hess: „Das Touchieren fand den Weg in das Regelwerk unter dem Motto: Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass! Wir haben es damals niedergeschrieben, aber es gleichzeitig unter der Decke gehalten, um die Anwendung durch unsachgemäße Hände zu verhindern. Das war im Rückblick meiner Meinung nach der falsche Weg. Das Touchieren wurde zu wenig in der Öffentlichkeit erklärt. Im Rückblick wäre es wahrscheinlich besser gewesen, das Barren ganz zu verbieten, statt ein neues Konstrukt zu entwerfen, das Touchieren.“

Zur näheren Erläuterung im Detail sagt Hess: „Wenn es von Fachleuten richtig gemacht wird, ist es für mich nicht tierschutzrelevant. Das gilt nur, wenn es ganz selten und vorsichtig bei einem sehr gut ausgebildeten Pferd unter einem Topreiter angewandt wird. Wenn es falsch praktiziert wird, ist das Ergebnis ein Vertrauensbruch.“ Und schließlich: „Wenn wir das Barren oder das regelmäßige Touchieren bei einem Pferd für notwendig halten, dann ist es für den Springsport ungeeignet und sollte anderweitig eingesetzt werden.“

Ich finde es wichtig, dass sich renommierte Fachleute wie Christoph Hess, die jahrzehntelange Erfahrung besitzen, in der aktuellen Situation kritisch und selbstkritisch äußern. Bei passender Gelegenheit sollte man ihn zu den Forderungen befragen, die Isabell Werth vor wenigen Tagen im Gespräch mit dem „St. Georg“ erhoben hat: „Warum schaffen wir es nicht, darzustellen, dass wir Sport betreiben. Wir fordern Leistung, ja, wir loten Grenzen aus. Wenn wir von einem Pferd Leistung fordern, dann muss auch erlaubt sein, dass wir agieren und reagieren. Dazu gehört eine Kandare, ein Sattel, Sporen und Peitsche. – Das muss man transparent erklären dürfen, ohne dass man in die Schublade der Tierquälerei kommt.“

Ich sag’s mal so: Ob Isabell Werth, ob Ludger Beerbaum – gerade die Topreiter müssen sich der kritischen Debatte stellen. Wenn ich es recht sehe, ist der Tenor der letzten Woche in der hippologischen Presse wie in den mehr oder weniger sozialen Medien überwiegend so: Die Kritik überwiegt. Wer das totale Verbot des Touchierens fordert, erfährt jede Menge Zustimmung. Das gilt gewiss nun auch für Christoph Hess.

Und zum Schluss noch dies: Isabell Werth und Ludger Beerbaum haben schon vor vielen Jahren ihre „Gästebücher“ auf ihren Internetseiten gelöscht. Sie waren leider zu Foren von Hass und Häme verkommen. Man mag sich nicht vorstellen, was sich heute auf derlei Plattformen abspielen würde. Anders gesagt: Ein vernünftiger Dialog mit Für und Wider ist gar nicht mehr möglich. Für differenzierte Erklärungen ist kein Platz. Deshalb schließe ich mich – einmal mehr – hier und heute der Forderung an, das Touchieren zu verbieten. Ich glaube, dass man in Warendorf um diese Entscheidung nicht herumkommt.