Dem deutschen Sport geht es nicht sonderlich gut. Das liegt zum Teil an der Pandemie – aber nicht nur! Seit Monaten ist beispielsweise der Deutsche Fußballbund (DFB) auf der Suche nach einem neuen Präsidenten.

In der Frankfurter Verbandszentrale herrschen Hauen und Stechen, der Machtkampf zwischen den Funktionären nimmt kein Ende. In den Zeitungsspalten, im Radio, im Fernsehen und natürlich in den unendlichen Weiten des Internets liest man immer neue Schauergeschichten. Der größte nationale Sportverband der Welt taumelt – eine Lösung ist nicht in Sicht.

Beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) war die Lage seit Monaten keineswegs besser: Alfons Hörmann, der langjährige Präsident, sprach und spricht noch immer von einer Intrige gegen seine Person – ihm wurde, je länger der Streit tobte, desto heftiger, ein inakzeptables persönliches Regiment nach innen vorgehalten. Eine „Kultur der Angst“, so hieß es, sei unter seiner Führung entstanden. Starker Tobak.

Schließlich hat Hörmann aufgegeben – seit dem 4. Dezember hat der DOSB nun einen neuen Präsidenten. Er heißt Thomas Weikert, ist 60 Jahre alt, kommt vom Tischtennis, war Präsident des deutschen Verbandes, bis vor kurzem auch Präsident des Weltverbandes. Bei seiner Wahl in Weimar erhielt Weikert 361 von möglichen 417 Stimmen der anwesenden Delegierten aus den Sportverbänden. (Die Stimmenzahl der einzelnen Verbände richtet sich übrigens nach der aktuellen Zahl ihrer Mitglieder.)

In seiner Bewerbungsrede vor den Delegierten nannte Thomas Weikert, der noch immer aktiv Tischtennis spielt, vier Punkte, die ihm programmatisch wichtig erscheinen:

„Wir müssen dem Sport wieder eine starke Stimme in der Gesellschaft geben. Eine Stimme, die im politischen Berlin wieder deutlich gehört wird.

Wir müssen die Vielfalt und die Einheit des Sports wieder stärken und leben.

Wir brauchen in allen Bereichen klare, gemeinsame Ziele für eine bessere Zukunft.

Wir müssen einen modernen, glaubwürdigen und integren DOSB bauen. Einen Verband, dem die Menschen in Deutschland wieder vertrauen können.“

Dazu, so betont der neue Präsident, gehöre „ein klares Bekenntnis zum Leistungssport“. Es gehe darum, die Leistungen der Topathleten anzuerkennen, sie in den Mittelpunkt zu stellen. Eine Studie zeige, dass viele der Aktiven unzufrieden seien mit der mangelnden Wertschätzung ihrer Leistungen in der Gesellschaft.

Wer diese Sätze liest, dem wird, selbst als Außenstehendem, annähernd deutlich, worum es nach quälenden Monaten des Haders, der gegenseitigen Anschuldigungen, des Einsatzes von Rechtsanwälten und schriftlichen Ultimaten deutlich, worum es beim DOSB tatsächlich geht: Es geht um einen Neubeginn! Die bisherige Verbandsspitze hat den Karren an die Wand gefahren.

Ob DFB oder DOSB – man fragt sich, wie es soweit kommen konnte. (Der DOSB hat, nebenbei bemerkt, 100 Mitgliedsverbände mit rund 90 000 Turn- und Sportvereinen, die wiederum 27 Millionen Mitglieder haben, acht Millionen Ehrenamtliche, die für sie aktiv sind, sowie 750 000 „Amtsträger“, also Vorstände ect.)

Bewerbung um Olympia

In seiner Grundsatzrede von Weimar hat Thomas Weikert versucht, dem deutschen Sport in dieser Krise, die sich nicht wegdiskutieren lässt, eine Vision zu geben:

„Ein Ziel für mich persönlich und den DOSB möchte ich nennen: Olympische und Para-Olympische Spiele in Deutschland! Komplett unabhängig von Jahr und Ort. Aber erst, wenn wir eine gemeinsame Idee haben, was wir mit diesen Spielen wirklich erreichen, gestalten und verändern wollen, können wir andere dafür begeistern!“

Apropos Olympia. Die Medaillenbilanz von Tokio lässt, alles in allem, zu wünschen übrig. Da hilft es nicht allzu viel, wenn man auf unsere Reiter verweist, die ihr sportliches Soll mehr als erfüllt haben.

Kein Zweifel, was der neue DOSB-Präsident sich vorgenommen hat, kann man getrost als höchst ambitioniert bezeichnen. Das breite Vertrauen, das ihn ins Amt gebracht hat, muss er nun rechtfertigen. Das wird nicht einfach, wenn man in seiner Grundsatzrede von Weimar unter anderem auch liest, dass der dem deutschen Sport eine stärkere Stimme geben möchte – auch gegenüber dem IOC.

Vergessen wir nicht: In den vergangenen zehn Jahren haben deutsche Bürger, ob in Hamburg oder in Bayern, der Idee, olympische Spiele hier zu veranstalten, mehr als nur einmal eine klare Abfuhr erteilt. Der DOSB selbst war es, der die vom Kölner Vermarkter Michael Mronz forcierte Initiative für Olympia Rhein-Ruhr eiskalt ins Leere laufen ließ. Thomas Weikert hat für all das ein geflügeltes Wort aus dem Fußball verwendet: „Heimspiele sind mitunter schwieriger als Auswärtsspiele!“

Wichtig zu wissen: Die nächsten Olympischen Spiele finden 2024 in Paris statt, danach folgt 2028 Los Angeles und 2032 Brisbane in Australien. Nächste Chance für Deutschland wäre 2036. Dem historisch Interessieren und Bewanderten fällt sofort auf: das wäre ja genau einhundert Jahre nach den Spielen von 1936 in Berlin, wo die Nationalsozialisten eine perfide Propagandaschau veranstaltet haben. Die heikle Frage lautet also: 100 Jahre nach Berlin – geht das, passt das, oder ist das eine unheilige Erinnerung an dunkelste Zeiten?

Was wollen die Reiter?

Als ich vor wenigen Monaten am Rande des Aachener CHIO mit Dennis Peiler, dem Geschäftsführer des DOKR in Warendorf, über die damalige kritische Lage des DOSB gesprochen habe, sagte er mir: „Für uns als Reiterei ist es ganz enorm wichtig, wer an der Spitze des DOSB steht. Wir wünschen uns dort einen starken Präsidenten, der sich auch für unseren Sport interessiert, der ein offenes Ohr für uns hat.“ Natürlich werden FN und DOKR den neuen Präsidenten alsbald nach Warendorf einladen, wie sich das gehört.

Dort wird er erfahren, wie und warum unsere Reiter bei Olympia nach wie vor glänzen. Er wird aber gewiss auch hören, weshalb man in der Reiterzentrale schlecht zu sprechen ist auf den Verband der sogenannten Modernen Fünfkämpfer, der natürlich ein Mitglied des DOSB ist. Und er wird hören, dass die Reiterei mehr als unzufrieden ist mit dem IOC im Hinblick auf die ohne Not geänderten olympischen Regeln, die letztlich auf Kosten der Pferde gehen.

Man darf, ganz nebenbei bemerkt, gespannt sein, wie Thomas Weikert sich zu den deutschen Fünfkämpfern positioniert. Wie man seit einigen Tagen hört, ist die Abschaffung des Reitens für die Spiele 2028 in Los Angeles so gut wie beschlossen. Aber ich persönlich glaub’s erst, wenn ich es lese schwarz auf weiß.

Und ich erinnere daran, dass der neue DOSB-Präsident vor seiner Wahl versprochen hat, den Stimmen der Athleten künftig mehr Gewicht zu geben. Das fordern überall auf der Welt die Athleten von ihren Verbänden und vom IOC, auch die Reiter fordern das von der FEI – bis dato bewegt sich wenig bis nichts. Traurig aber wahr!

Kein Zweifel, der Sport ist politisch. Wer das leugnet, der ist entweder naiv oder bösartig! Der Sport war immer politisch, wurde von der Politik gerne vereinnahmt, nicht selten von ihr missbraucht. Im aktuellen Streit dieser Tage um die Winterspiele von Peking, um die Problematik der Menschenrechte, die in China missachtet werden, sagte der IOC-Präsident Thomas Bach:

„Das IOC ist neutral. Wenn wir eine politische Seite einnehmen, bekommen wir die 206 NOC’s nicht zu den Spielen. Das könnte das Ende der Olympischen Spiele sein.“

Mit NOC meint der die nationalen Olympischen Komitees seiner Mitgliedsländer. Auch wenn Thomas Bach es gerne leugnet: Der Fechtolympiasieger aus Tauberbischofsheim ist eine politische Figur mit Gewicht und Einfluss, auch mit einer politischen Haltung. Nicht zuletzt denkt er an sich selbst, möchte möglichst lange an der Spitze des IOC bleiben. Gerüchte aus der FEI und ihrem Umfeld behaupten übrigens, Ingmar de Vos, „unser“ Reiterpräsident, spekuliere auf höhere Weihen im IOC. Na, wenn das keine Politik ist, dann weis ich nicht, was Politik sein soll.

Zum Abschluss dieser Tipp: Wer die Grundsatzrede des neuen DOSB-Präsidenten nachlesen möchte, der findet sie unter www.dosb.de