Der private TV-Kanal Vox hat weder Kosten noch Mühen gescheut, das unendliche Thema „Totilas – Glanz und Elend“ neu unter die kritische Lupe zu nehmen. Entstanden ist ein dreiteiliger Film, getragen von Protagonisten voller Pathos und auch Populismus, gleichwohl mit durchaus neuen Fakten und Erkenntnissen. Beteiligte äußern sich, frank und frei mit offenem Visier, andere wiederum anonym oder gleich gar nicht. Mein wohlgemeinter Rat: Anschauen und eigenes Urteil bilden!
Es treten auf: Paul Schockemöhle, selbstsicher wie immer, dazu unterwartet offen und auskunftsfreudig; Ana und Jan Schuil, die Züchter, immer wieder den Tränen nahe; Kerstin Gerhardt, eine Berufsreiterin, die ihre Wortmeldungen gerne als Tobsuchtsanfall inszeniert; der niederländische Hufschmied Rob Reirie, der körperlich leidet, wenn er an Totilas denkt; Dr. Eduard Haferbeck, Vorsitzender der PETA-Tierschüzer, der die Gelegenheit nützt, Klassenkampf und Kapitalismuskritik zu schüren; Carsten Soestmeier, der altgediente erfahrene ARD-Reporter, an dem sich mitunter die Geister scheiden. Dazu der niederländische Kollege Jacob Melissen, bester Totilas-Kenner in den internationalen Medien, der uns Deutsche scharf angeht: „Neid! Neid! Neid!“
Es treten (leider) nicht auf: Edward Gal, der Totilas ausgebildet und zum dreifachen Gold-Triumph von Kentucky 2010 geführt hat; Matthias Alexander Rath, sein Vater Klaus Martin sowie seine Stiefmutter Ann Katrin Linsenhoff, denen die TV-Reportage kein gutes Zeugnis ausstellt für ihre Haltung von Totilas auf ihrem Schafhof in Kronberg; Monica Theodorescu, die Bundestrainerin, die eine hohe Mitverantwortung trug beim Karriereende in der Soers, anlässlich der EM 2015; Katrina Wüst, die welterfahrene Dressurrichterin, die 2015 in der Soers als Mitglied der Jury beim Vet-Check grünes Licht gab für Totilas, während ihr britischer Kollege mit „Nein!“ votierte; auch nicht Klaus Roeser, damals wie heute Equipechef und Vorsitzender des Dressurausschusses. Leider keine führenden Funktionäre aus der Verbandszentrale in Warendorf und leider auch nicht die anonym bleibende Augenzeugin, womöglich ein Groom, der/die am Schafhof in Kronberg tätig und für Totilas zuständig war und gegenüber Vox-TV bereitwillig plaudert.
Dass einige meiner Zeitungsartikel eingeblendet werden, die ich 2015 und später in Sachen Totilas für die Stuttgarter Zeitung geschrieben habe, finde ich in Ordnung. Sie zeigen in der Rückschau, dass ich viele Fakten kannte und sie richtig eingeordnet haben – aber beileibe nicht alles. Das ist normal. Beispiel: Dass Totilas nach dem durchaus dramatischen Ende seiner Karriere auf dem Schafhof so isoliert gehalten wurde, dass er zum Weber wurde, wie die Handysequenz zeigt, empfinde ich heute als sehr bitter.
Neu ist mir auch Paul Schockemöhles Offenheit: „Wir haben ihn bei uns dreimal wöchentlich abgesahnt – sein Samen war reichlich und von bester Qualität, jedes mal 60 bis 70 Portionen.“ Der Hengst habe, so Schockemöhle, „rund tausend Stuten gedeckt“. Er selbst besitze noch TG-Samen“ für einige hundert Bedeckungen. (Dass die TV-Reportage die juristische Auseinandersetzung zwischen Visser und Schockemöhle um den im jeweiligen Besitz verbliebenen Samen nicht thematisiert, ist schade, aber wohl der Tatsache geschuldet, dass das Opus noch eine halbe Stunde länger hätte gehen müssen.)
Zum ersten Male sehe ich das Ehepaar Tosca und Kees Visser, die Besitzer des sogenannten Wunderhengstes in den Jahren zwischen seinen Züchtern und der zehn Jahre währenden Ära der Besitzergemeinschaft Paul Schockemöhle und der Familie Rath/Linsenhoff. Die tiefen Emotionen von Tosca Visser und der jovial vorgetragene, zugleich aber knallharte Geschäftssinn des Immobilienhändlers Kees Visser, bleiben mir im Gedächtnis. Dass bei beiden Parteien eines Tages der Geschäftssinn die Oberhand gewonnen hat, kann jeder sehen und hören. Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten Vernunft walten lassen und sich – am besten außergerichtlich – einigen. Auch die Hasstiraden der Berufsreiterin Kerstin Gerhardt führen nicht zur Versachlichung, sondern zu immer mehr Verhärtung der Fronten. Wem nützt das?
Wie man es auch dreht und wendet: Totilas bleibt unsterblich. Für mich ein Lehrstück, wie man es nicht macht, sieht man einmal vom Züchterehepaar Schuil ab, das am Filmende mit Tränen in den Augen dasitzt. Der Hengst kam vom Glanz zum Elend. Daraus müssen alle Beteiligten ihre Lehren ziehen. Wenn ich alle schreibe, dann meine ich auch alle. Das gilt ganz aktuell auch für diejenigen, die es mit Totilas‘ Nachkommen zu tun haben.
Die Hoffnung oder gar die feste Erwartung, dass sich unter den vielen der neue Totilas finden ließe, erscheint mir als völlig abwegig. Wir haben doch über viele Jahre gelernt, dass sich die Natur nicht überlisten lässt, so clever wir es auch anstellen mögen. Paul Schockemöhle weiß das wohl am besten von uns allen: Deshalb hat er sich, wie er selbst bekennt, „in Totilas verliebt“. In der Reportage heißt es, Schockemöhle besitze 7000 Pferde. Dass er Totilas kaufen musste, um ihn zu besitzen – genau das sollte uns zu denken geben!