Millionen Menschen in aller Welt trauern um Königin Elisabeth II. Darunter sind unzählige Pferdefreunde – aktive Reiterinnen und Reiter aller Sparten, ebenso Züchter aus der bunten Palette der Rassen. Für sie alle, für uns alle, war die Queen ein geschätztes, von vielen auch geliebtes Vorbild: Ihre lebenslange Passion zu den Pferden war nicht aufgesetzt, gar gespielt – es war tief in ihrer Persönlichkeit verankert von Kindesbeinen an. Diese Königin warb allein durch ihre Hinwendung zu den Pferden, durch ihren souveränen Sachverstand, für die Reiterei in aller Welt. Der Sport mit den Pferden hat eine Fürsprecherin verloren – das werden wir bald zu spüren bekommen.

Als Elisabeth II. und Prinz Phillip in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre deutsche Verwandtschaft auf Schloss Langenburg in Hohenlohe besuchten, führte sie das Protokoll auch nach Marbach am Neckar, dem Geburtsort des Dichters Friedrich Schiller. Dort soll die Queen jene legendäre Frage gestellt haben, die da lautete: „Where are the horses?“, also „Wo sind die Pferde?“ Sie war, so ist es überliefert, offenkundig der Ansicht, in diesem Marbach liege auch das vor 500 Jahren begründete Haupt- und Landgestüt Marbach.

Doch zwischen den beiden Marbachs sind es gut 80 Kilometer. Das Schiller-Marbach am Neckar, das Pferde-Marbach auf der Schwäbischen Alb, oberhalb von Reutlingen gelegen. Also gab’s für die Queen, wie alte Fotos zeigen, zwar die charismatische Büste Friedrich Schillers zu sehen, aber kein einziges Pferd. Bis heute steht die historisch bedeutsame Frage im Raum: Hat Königin Elisabeth diese Frage überhaupt gestellt? Oder ist sie in Wahrheit nur gut erfunden von interessierten Kreisen?

Im Schiller-Marbach ist man von letzterem fest überzeugt, hat sogar den Versuch gewagt, den vermeintlichen Irrtum wissenschaftlich zu belegen. Im Pferde-Marbach auf der Alb lässt man die historischen Dinge auf sich beruhen, speist sein Selbstvertrauen aus der Tatsache, dass die erste urkundliche Erwähnung des Gestüts aus dem Jahre des Herrn 1514 stammt. Da kann selbst Friedrich Schiller nicht mithalten. Wir Pferdeleute neigen gewiss der Königin zu, was unser Interesse an Schiller keineswegs schmälert.

Wenn wir jetzt, so kurz nach ihrem Tod, an diese großartige Frau denken, dann kommen uns viele Bilder vor Augen, auf denen sie den Pferden ganz nahe ist: Auf einem reitet sie vor nicht allzu langer Zeit auf einem ihrer Ponys durch den Park von Schloss Windsor, auf einem anderen lädt sie den ehemaligen US-Präsidenten Ronald Raegan dort zum gemeinsamen Ausritt. In der Reithalle der Familie Jung sticht uns das legendäre Foto aus dem Herbst 2015 am Blair Castle ins Auge: Die Queen gratuliert dem neuen Europameister Michael Jung – zuerst zu seinem Sieg von Burghley am Sonntag zuvor, dann erst zum Titel. Diese Szene bleibt gewiss nicht nur Michael Jung ein Leben lang in Erinnerung.

Die Queen war das Oberhaupt der berühmtesten Reiterfamilie der Welt. Ihre Tochter Anne gewann 1971 den EM-Titel in der alten Military, ihre Enkeltochter Zara siegte 2006 in Aachen bei der WM der modernen Vielseitigkeit. Viele Male haben wir in den Zeitungen und/oder im Fernsehen diese Königin gesehen beim Galopprennen in Ascot; es ist bekannt, dass sie selbst bestimmt hat, wie die Zucht ihrer Galopper fachlich geführt werden soll. Wenn ihre Pferde siegten, freute sie ich wie ein Kind. Auf Kameras und Publikum achtete sie in diesen Augenblicken kein bisschen.

Über Jahrzehnte nahm sie, selbst im Sattel, die berühmte Parade zu Ehren ihres Geburtstages persönlich ab. Aus Kreisen des Hofes verlautete nicht selten, dass die Queen dabei ihre Soldaten kritisch verfolgte. Ich selbst war in den frühen siebziger Jahren einmal bei der Windsor Horse Show, wo sie eines Nachmittags eigens kam, um die Siegerehrung nach einem Springen für Offiziere und einfache Kavalleristen persönlich vorzunehmen. Man spürte förmlich, welche Bedeutung dies für die Reiter Ihrer Majestät besaß.

Diese Frau hat uns vorgelebt, wie großartig und erfüllend es sein kann, sich ein Leben lang mit den Pferden zu beschäftigen – auf die unterschiedlichste Weise. Ihre Neugier auf die Pferde war ungebrochen, selbst im hohen Alter von über neunzig Jahren. Diese Passion teilte sie mit ihrem vor einem Jahr gestorbenen Mann, der erst Polo spielte, später ein international anerkannter Kutscher von Viererzügen wurde. Seine Cleveland Bays findet man in vielen Archiven und Fachbüchern. Mitten unter seinen Fahrerkollegen fühlte sich der Prinz von Edinburgh besonders wohl.

Mit Interesse schauen wir heute auf den neuen König Charles III. Der hat vor langen Jahren immerhin Polo gespielt, wenn auch nicht so erfolgreich. Seine Frau, Königin Camilla, kennt man auf Fotos, die sie bei diversen Reitjagden zeigen. William und Harry sind aktive Polospieler. Immerhin, Zara Tindall hält die Familienehre in der Vielseitigkeit hoch. Prinzessin Anne steigt bei zeremoniellen Anlässen in den Sattel. Die Kinder dieser Royals aber, so scheint es, haben mit der Leidenschaft ihrer verstorbenen Großmutter nicht allzu viel am Hut. Das ist schade. Wir werden wohl bald sehen, was aus den Galoppern der Queen werden wird. Bleibt der neue König dem Vermächtnis seiner Mutter treu?

Wie man es auch dreht und wendet: Mit dem Tod von Elisabeth II. endet eine Ära, mehr noch, eine Epoche von fast hundert Jahren. Und nichts bleibt, wie es einmal war. Wir Pferdeleute – nicht nur in Deutschland – haben allen Grund zur Dankbarkeit gegenüber der Queen. Wir sind verpflichtet, die  Erinnerung an sie zu pflegen. Eine wie sie wird es wohl nie mehr geben.