Es kommt wie aus heiterem Himmel: David Will sitzt nicht länger im Sattel des 14-jährigen Holsteiners mit Namen „C Vier“. Die Familie Rijkens, Besitzer dieses Toppferdes, hat kurzfristig verkauft – an wen, dass weiß die neugierige hippologische Öffentlichkeit noch nicht. Wie auch immer – ein herber Verlust für Bundestrainer Otto Becker und seinen Olympiakader.
Die schlechte Nachricht der Woche erschien zuerst bei „spring-reiter.de“, wenig später kam die Bestätigung aus der Warendorfer FN-Zentrale. Auf Instagram schreibt David Will: „Ich bin der Familie Rijkens extrem dankbar dafür, dass sie mir die Chance gegeben hat, dieses fantastische Pferd zu reiten und so viele gemeinsame Siege zu feiern. Mein Dank geht auch an das gesamte Team, das so große Anstrengungen und viele Extra-Stunden geleistet hat, um „C Vier“ so gut zu versorgen. Wir wünschen ihm und seinem neuen Reiter alles Gute für die Zukunft.“
Not amused war Otto Becker, der Bundestrainer: „Das ist ein großer Verlust für David und auch für uns im Hinblick auf kommende Championate. Das Paar war eine feste Größe im Olympiakader und ein Kandidat für die Weltmeisterschaft in Herning. Trotzdem geht auch mein Dank an die Besitzerin dafür, dass sie das Pferd für die EM 2021 zur Verfügung gestellt hat. Das hat David die Chance eröffnet, sein erstes Championat in Riesenbeck zu reiten, wo er gleich eine Medaille gewinnen konnte.“ Es war das Team-Silber, falls es jemand schon vergessen haben sollte. Und: David Will und „C Vier“ waren vor wenigen Wochen in Leipzig bestes deutsches Paar im Weltcupfinale – Rang sechs!
Der Vorgang regt durchaus dazu an, ein wenig tiefer zu blicken. Innerhalb von nur eineinhalb Jahren hat David Will diesen robusten Holsteiner mit dem spektakulären Springvermögen zu einem Hingucker auf dem internationalen Parcours geformt. Ob es mit der Besitzerin Janine Rijkens einen Vertrag gegeben hat, wissen wir Außenstehenden nicht. Man kann es im Sinne von David Will nur hoffen. Schaut man auf den weltweiten Markt von Klassepferden für den ganz großen Kurs, dann sieht man sofort, dass An- und Verkäufe in dieser Kategorie sehr selten sind. Den Marktwert dieses Holsteiners darf man getrost im siebenstelligen Bereich einordnen.
Wer immer künftig im Sattel sitzt, David Will spricht ja von „einem neuen Reiter“, der darf sich glücklich schätzen. Wenige Monate vor der WM in Herning (6. bis 14. August) und gut zwei Jahre vor den Olympischen Spielen in Paris macht ein solcher Ankauf Sinn, wenn man das reiterliche Handwerk besitzt und einen Investor im Rücken, der tief in die Tasche greift. Die zweite, durchaus mögliche Variante lautet: Janine Rijkens verkauft gar nicht, sondern gibt das Pferd „nur“ in die Hände eines anderen Reiters. Ich bin gespannt.
Blickt man durch unsere deutsche Brille, ist der Verlust von „C Vier“ in jedem Fall ein harter Schlag. Denn bei der WM in Herning geht’s – ich will es hier noch einmal ausdrücklich betonen – keineswegs nur um Titel und Medaillen, sondern es geht zugleich um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Die ersten fünf Equipen der WM gelten als qualifiziert, wohlgemerkt: Nicht die einzelnen Reiter und Pferde, die in Herning eingesetzt werden, sondern die Nation!
Missglückt die Qualifikation, bietet sich bei der Springreiter-EM 2023 die zweite, allerdings letzte Chance. Es liegt also auf der Hand, dass jeder verantwortliche Nationaltrainer alles daran setzt, seine Equipe so rasch und so sicher wie nur möglich zu qualifizieren. Ist das geschafft, dann interessiert, wenn wir ehrlich sind, eine Weltmeisterschaft nicht mehr so sehr. Seitdem es diese spezielle Regel gibt, gelten die Weltmeisterschaften quasi als wichtige Durchgangsstation, zwei Jahre vor den Olympischen Spielen, auf die alle Planungen fixiert sind.
Würde man Otto Becker, der seinen Vertrag glücklicherweise um vier Jahre verlängert hat, heute fragen, mit welchem Quintett er nach Herning fahren möchte – er würde ein ziemlich ernstes Gesicht machen und unter gar keinen Umständen auch nur einen einzigen Namen nennen. Vielmehr würde er seinen Standardsatz für derlei Situationen sagen: „Das Rennen um die Startplätze bei der WM ist offen – jeder und jede haben die Chance, sich durch starke Leistungen zu empfehlen.“