Wenn ich mich nicht täusche, dann hat es das noch nie gegeben: Ein Ehepaar steht an der Spitze der Weltrangliste in der Vielseitigkeit – Tim und Jonelle Price, die für Neuseeland starten. Kompliment! Die aktuelle Rangliste birgt am Ende dieser WM-Saison 2022 aber noch mehr Fakten, die nachdenklich stimmen. Dabei sind alle sportlichen Pläne der weltbesten Buschreiter schon jetzt auf ein einziges Ziel ausgerichtet: Auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Die Weltrangliste der Buschreiter für diesen Herbst markiert so etwas wie die Saisonbilanz. Dabei sticht ein kleines Kuriosum ins Auge: Hinter dem Ehepaar Price – Tim siegte zuletzt in der Einzelwertung im niederländischen Boekelo – folgen Oliver Townend und Ex-Weltmeisterin Rosalind Canter, also zwei aus Großbritannien, wiederum dahinter zwei starke Profis aus den USA: William Coleman und Martin Boyd.

Auf Platz sieben finden wir den knapp gescheiterten WM-Favoriten Michael Jung, der am letzten Steilsprung von Pratoni del Vivaro den Titel vergab. Unmittelbar hinter ihm auf Platz acht liegt die neue Weltmeisterin Yasmin Ingham, die einen Sprung von Rang 20 auf acht schaffte. Schaut man auf die Plätze danach, finden sich, bunt gemischt, nur Briten und Amerikaner, unterbrochen vom Schweizer Felix Vogg auf Rang 16. Einen Riesensprung von Platz 83 auf 22 machte Julia Krajewski, die neue Vize-Weltmeisterin. Auf Rang 40 sehen wir Sandra Auffarth – mehr deutsche Reiter gibt es nicht unter den punktbesten 50!

Zwischen Rang 50 und Rang 100 rangieren zehn Schützlinge des neuen Bundestrainers Peter Thomsen: Dirk Schrade (52), Ingrid Klimke (53), Jerome Robine (66), Anna Lena Schaaf (79), Malin Hansen-Hotopp (82), Arne Bergendahl (84), Andreas Dibowski (85), Sophie Leube (86), Alina Dibowski (87) und Calvin Böckmann (89).

Gleichwohl bleibt zu beachten, dass die Weltrangliste zwar viele Fakten liefert über eine zurückliegende Saison – aber beileibe nicht alles. Die deutsche Equipe hat in Italien den WM-Titel gewonnen und das Ticket für Paris 2024 gelöst. Zum Saisonschluss reichte einem B-Team der vierte Rang in Boekelo zum Gesamtsieg in der Nationenpreis-Serie 2022. Dazu gehören zwei Siege, einer in Haras du Pin, einer in Arville. Das alles kann sich sehen lassen, ist aller Ehren wert.

Wahr ist aber auch: Ingrid Klimke kann mit ihrer Saison in der Vielseitigkeit nicht zufrieden sein, musste ihren Hale Bob aus dem Sport verabschieden und anderen den Vortritt lassen bei der Nominierung für die WM. Michael Jung vergab den greifbar nahen zweiten WM-Titel am allerletzten Hindernis des schweren Parcours. Wirklich schade.

Meine Kritik an dieser Situation im Detail sowie meinen  Hinweis, der deutsche WM-Titel resultiere nicht zuletzt aus den gehäuften Springfehlern der Amerikaner und der Briten in der entscheidenden Phase des WM-Springens, hat Michael Jung mir gegenüber als „Unfair!“ bezeichnet. Man habe unterm Strich die beste Teamleistung dieser WM 2022 erbracht, den Titel also zurecht gewonnen. Ich respektiere seine Kritik selbstverständlich, aber ich teile sie nicht.

Gerade im Erfolg scheint es mir unverzichtbar, hernach präzise zu analysieren, wie die Saisonbilanz jedes einzelnen Reiters ausfällt, wo es also mangelt, wo man sich verbessern muss und auch kann. Sieht man von Julia Krajewski ab, gab’s meinem Eindruck nach bei allen anderen Topreiterinnen und Topreitern eher schwankende Leistungen. Die vorolympische Saison 2023 mit der EM in Haras du Pin wird zeigen, ob die deutsche Equipe gut gerüstet ins olympische Jahr 2024 gehen kann. Vergessen wir nicht: In Paris bestehen die Teams – wie in Tokio – wieder nur aus einem Trio.