Stuttgart im Oktober 1985. Paul Schockemöhle sagt in die Kameras und die Mikrofone: „Das German Masters ist auf Anhieb das beste deutsche Hallenturnier!“ Dieser Satz fliegt mit Donnergetöse durch die Reiterszene der Republik, ja weiter noch durch Europa und bis nach Übersee. Lang ist’s her. Im Frühjahr 2023 soll eine Machbarkeitsstudie zeigen, ob und wie ein Neubau der Schleyerhalle möglich wäre und zu welchen Kosten, denn die Arena am Cannstatter Wasen ist nicht mehr konkurrenzfähig.
Paul Schockemöhle selbst sattelt in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle zu Stuttgart, auch HG Winkler und Graciano Mancinelli, Nelson Pessoa und viele andere. Geradezu legendär wird der Pas de Deux von Anne-Grethe Jensen auf Marzog und Reiner Klimke auf Ahlerich! Im Publikum fließen Tränen der Rührung. 23 000 Zuschauer werden gezählt. Der blutjunge Franzose Philippe Rozier auf der Vollblutstute Jiva gewinnt den ersten Großen Preis von Stuttgart. Und der junge Gotthilf Riexinger hat die Turnierleitung übernommen. Alles ein Sprung ins kalte Wasser.
Weshalb erinnere ich an die Premiere des Stuttgarter Hallenturniers von 1985? Ganz einfach: Der Gemeinderat hat in diesen Tagen den Doppelhaushalt der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg für die kommenden beiden Jahre beraten und verabschiedet. Alles in allem geht’s dabei um mehr als acht Milliarden Euro. Dagegen erscheinen zwei Millionen Euro geradezu wie Peanuts – allerdings geht’s im Blick auf die Zukunft der Schleyerhalle genau um diese zwei Millionen.
Noch genauer: Das politische Stichwort dazu heißt Planungskosten! Und worum geht es dabei? Ganz einfach: Die Anfang der achtziger Jahre für damals 66,5 Millionen Euro erbaute und 1983 eingeweihte Schleyerhalle am geschichtsträchtigen Cannstatter Wasen ist in die Jahre gekommen. 2005/06 wurde sie zwar für mehr als zwölf Millionen Euro modernisiert. Doch das ist auch schon ziemlich lange her.
Und deshalb führt kein Weg daran vorbei: Die alte Mehrzweckarena für Sport- und Musikevents, für Parteitage, Firmenveranstaltungen, Messen und für vieles andere mehr – ihre Tage sind gezählt. Im Stadtparlament ist man sich in diesem Herbst 2021 im Grundsatz einig: Die alte Halle muss abgerissen werden, um einem Neubau Platz zu machen, der die Anforderungen des 21. Jahrhunderts erfüllt. Die 2006 für 31 Millionen Euro erbaute Porsche-Arena, die beim Reitturnier als Abreitehalle dient, bleibt bestehen, wird möglichst geschickt an die neue Arena angedockt.
Andreas Kroll, der verantwortliche Manager und Chef der Veranstaltungsgesellschaft „in.stuttgart“, sagt es so:
„Unsere Schleyerhalle ist nicht mehr zeitgemäß. Es mangelt am Komfort für die Besucher, die Umgänge sind zu schmal, die Halle ist nicht hoch genug, um Topevents wie etwa mit Helene Fischer oder mit berühmten Bands möglich zu machen. Heute haben wir eine Kapazität von 8200 festen Sitzplätzen, insgesamt sind 15500 Steh- und Sitzplätze möglich, je nach Bestuhlung.“
Die neue Arena müsse 20 000 Menschen Platz bieten, um international konkurrenzfähig zu sein.
Was Andreas Kroll nicht sagen kann, ist dies: Ursprünglich war die Schleyerhalle lediglich als Sportarena konzipiert und gebaut, quasi als Radrennbahn mit einem Dach darüber. Schon kurz nach der Eröffnung 1983 fiel den Stadtvätern auf, dass dies alle nicht ausreichte, also gaben sie in den Folgejahren Schritt für Schritt allerhand Geld aus, um die Arena an der Mercedesstraße aufzurüsten. Die diversen Anbauten, die mal als VIP-Bereich dienten, mal als Abreitehalle – am Ende behinderte dieser Flickenteppich den effektiven und effizienten Ablauf während der Veranstaltungen.
Wie geht’s jetzt weiter?
In dem eingangs erwähnten Stuttgarter Doppelhaus für 2022/23 liegen die zwei Millionen Euro für Planungskosten bereit. Der politische Auftrag für die städtischen Planer lautet: Im ersten Halbjahr 2022 muss eine sogenannte Machbarkeitsstudie erarbeitet und öffentlich vorgelegt werden – wie und auf welche Weise wäre es möglich, die alte Halle abzureißen und an ihrer Stelle eine neue zu bauen? Wo lägen die baulich-technischen Probleme? Was könnte der Neubau in etwa kosten und wie lange würde die Bauzeit dauern? Das alles klingt zunächst einmal recht einfach, ist es aber nicht.
Eine nagelneue Arena auf der grünen Wiese zu erreichten, das ist relativ einfach. Das sieht man beispielsweise am neuen Fußballstadion des FC Freiburg. Am Cannstatter Wasen aber geht’s um etwas ganz anderes: Um einen Neubau im Bestand, praktisch auf den Grundmauern der alten Arena. Das kostet zusätzlich Zeit und Geld; allein der abriss kostet Millionen. Ziel der Stuttgarter Kommunalpolitik ist es, Stand heute, mit dem Neubau im Jahr 2024 beginnen zu können. Eine höchst ambitionierte Vorgabe. Die Bauzeit grob geschätzt: zwei bis zweieinhalb Jahre.
Wer ist die „in.stuttgart“?
An dieser Stelle ein paar wichtige Sätze zur Veranstaltungsgesellschaft in.stuttgart. Wichtig zu wissen: Als 1985 das German Masters aus der Taufe gehoben wurde, war die SMK die Besitzerin der Schleyerhalle, also die städtische Messe- und Kongressgesellschaft.
Als aber einige Jahre später die kommunale Messe vom Killesberg im Norden der Stadt an den Flughafen im Süden Stuttgarts verlegt und dort neu gebaut wurde, übernahm das Land Baden-Württemberg die Messe in ihre politische Obhut – die Stadt musste eine eigene, neue Betreibergesellschaft gründen, eben die „in.stuttgart“. Dieser städtische Eigenbetrieb organisiert auch das berühmte Cannstatter Volksfest auf dem Wasen, das Frühlingsfest, das auch dort stattfindet, dazu sämtliche großen und kleinen Märkte in der Stadt. Nicht zuletzt betreibt sie die Eintrittskarten-Agentur „easy-ticket“.
Anders gesagt und auf das Reitturnier bezogen: Private Besitzer und Ausrichter wie etwa die Familie Rath-Linsenhoff aus Kronberg, Ludger Beerbaum aus Riesenbeck oder Uli Kasselmann aus Hagen können weitaus freier und flexibler darüber entscheiden, ob sie in Zusammenarbeit mit ihren örtlichen Behörden ihre Turniere ausrichten oder nichr. Die Schleyerhalle in Stuttgart aber, wo 2020 und 2021 leider kein German Master stattfinden konnte, gehört der öffentlichen Hand, als uns Steuerzahlern.
Das wiederum zwingt die Verantwortlichen dazu, mit den öffentlichen Geldern anders umzugehen als dies private Veranstalter tun können. Am Jahresende muss der Gemeinderat die Bilanz dieses Beteiligungsunternehmens billigen – sein Defizit in diesen Corona-Zeiten ist siebenstellig. Der Steuerzahler muss es ausgleichen.
Die gute Nachricht zum Schuss. Jörg Klopfer, der Pressesprecher der in.stuttgart, schreibt mir dieser Tage: „Im Hinblick auf das German Masters 2022 haben die Vorbereitungen begonnen. Wir planen für 2022 und wie immer von Jahr zu Jahr aufs Neue.“