Isabell Werth peilt ihre fünften Olympischen Spiele an. Doch um den Startplatz in London muss sie kämpfen.

Fünfmal Gold und dreimal Silber bei vier Olympischen Spielen. Das ist die glänzende Bilanz der „Dressurkönigin“ Isabell Werth. Kein Reiter war bisher besser. Doch die Zeiten von Gigolo und Satchmo, ihren erfolgreichsten beiden Pferden, sind vorbei. Jetzt steht die 42-Jährige aus Rheinberg am Niederrhein zum ersten Male in ihrer Karriere vor der Gefahr, den Sprung ins deutsche Team zu verpassen.

London sollen ihre fünften Spiele sein – am Rande des Reitturniers auf dem Mannheimer Maimarkt sagte sie gestern: „Ich weiß, dass es diesmal schwer wird. Aber ich kämpfe um meine Chance. Entweder es klappt mit ,Ernie‘ oder es klappt mit ,Jonny.“

Im Stall von Isabell Werth tragen alle Pferde ihre Kosenamen: Hinter ,Ernie‘ verbirgt sich der elfjährige Rheinländer El Santo, der in den vergangenen zwei Jahren unter anderem das Mastersfinale in der Schleyerhalle gewonnen hat. Mit „Jonny“ ruft die erfahrenste Dressurreiterin der Welt ihren zehnjährigen Hannoveraner Don Johnson. Obwohl nur ein Altersjahr auseinander, könnten diese beiden „Cracks“, wie die Reiter sagen, kaum unterschiedlicher sein.

El Santo besitzt die Erfahrung vieler internationaler Wettkämpfe, aber leider hat er eine gravierende Schwäche: „Die Piaffe, den Trab auf der Stelle, zeigt er im Training wie ein Weltmeister“, sagt seine Reiterin. Aber im Wettkampf lässt „Ernie“ seine „Königin“ mitunter im Stich, lässt es an fleißigen, rhythmischen Tritten fehlen – das kostet die beiden wertvolle Punkte, denn die verflixte Piaffe ist eine Schlüssellektion. Don Johnson indessen hat sich in den letzten Monaten enorm verbessert, seine Ausbilderin sagt:

„Vielleicht kommen die Spiele für ihn ein Jahr zu früh. Doch so, wie er sich jetzt präsentiert, könnte er in London eine sehr gute Rolle spielen.“

An dieser Stelle rückt das neue, 2012 erstmals geltende Reglement für die olympische Dressur ins Blickfeld. Früher bestand eine Mannschaft aus vier Paaren, nur die besten drei wurden gewertet – ein Pferd oder ein Reiter mit einem schlechten Tag fielen kaum ins Gewicht. In London jedoch dürfen nur noch drei Paare pro Nation antreten, alle drei werden gewertet. Das Problem: Sollte am Tag X eines ausfallen, wäre das Team gesprengt – viele Reiter halten diese neue Regel nicht für pferdegerecht, auch Isabell Werth äußerte Kritik. Dass Deutschland zusätzlich zur Mannschaft einen Einzelreiter stellen darf, tröstet sie nicht: „Bei olympischen Spielen steht die Mannschaft im Mittelpunkt.“ Ihren Traum von der sechsten Goldmedaille träume sie immer noch.

Und das ist die aktuelle Lage im deutschen Dressursport: Nach den letzten Turnieren und Resultaten würden Matthias Rath aus Kronberg mit Totilas, Helen Langehanenberg aus Havixbeck mit Damon Hill und Kristina Sprehe aus Dinklage mit Desparados die Mannschaft bilden; für die “Dressurkönigin“ bliebe nur der Platz des Einzelreiters oder gar des Reservisten, der buchstäblich das fünfte Rad am Wagen ist. Die entscheidenden Qualifikationen stehen allerdings noch aus: die deutsche Meisterschaft im sauerländischen Balve Mitte Juni sowie das Turnier Anfang Juli in der Aachener Soers.

Am 8. Juli müssen der neue Bundestrainer Jonny Hilberath und der Dressurausschuss des Verbandes die Nominierung vornehmen. Die Zeit bis dahin ist knapp, die Nervosität steigt und Isabell Werth sagt: „Der plötzliche Tod unseres Bundestrainers Holger Schmezer trifft uns in dieser Situation besonders hart.“ Doch was Schmezer an „seiner“ Isabell Werth stets besonders geschätzt hat, nämlich mehr als zwanzig Jahre Erfahrung und enormen Kampfgeist – diese Tugenden will sie wieder in die Waagschale werfen:

„Aufgeben kommt gar nicht in Frage, im Gegenteil. Jeder weiß, wie ich kämpfen kann.“

Und wie zum Beweis, das mir ihr zu rechnen ist, brachte sie zum Maimarkt den erst achtjährigen Oldenburger Laurenti mit, Stockmaß 1,85 Meter. Der riesige Wallach soll Turniererfahrung sammeln – das Ziel für seine Reiterin: „In vier Jahren, zu den Spielen in Rio de Janeiro, ist Laurenti auf dem Zenit.“ – Aktuelle Anmerkung vom 28. September 2012: Isabell Werth schaffte die Nominierung für die Reiterspiele 2012 in London nicht.