Wie heißt es so schön vom Fußball: Entscheidend ist’s aufm Platz! Vor wenigen Minuten ist die EM-Entscheidung 2023 auf dem Viereck am Schloss Surenburg in Riesenbeck gefallen: Die Briten sind neuer Europameister vor Deutschland und Dänemark. Den Tagessieg der Einzelreiter in diesem Grand Prix holte sich mit Glanz und Gloria Jessica von Bredow-Werndl, die Olympiasiegerin von Tokio, auf ihrer Dalera, vor Charlotte Dujardin, der Olympiasiegerin von London und Rio, und „Littie“ Fry auf ihrem Hengst Glamourdale. Letzterer zeigte in der Hitze doch einige Schwächen.
„Das Dressurreiten ist für mich jeden Tag eine Schule des Lebens!“ Jessica von Bredow-Werndl sagt diesen Satz als erste Stellungnahme nach dem besten Grand Prix ihrer Karriere: „84,612 Prozent – das ist die höchste Wertung, die wir bis heute bekommen haben.“ Und weiter: „Ich bin, wenn ich reite, immer hoch konzentriert: Wenn ich starken Trab reite, gibt’s nur starken Trab. Wenn ich Rückwärtsrichten reite, dann gibt’s für mich nur das. Ich denke nicht an Vergangenes und nicht an die Zukunft. Ich reite im Hier und jetzt!“
Nein, Jessica von Bredow-Werndl ließ sich durch die starken Ritte der Konkurrenz aus Großbritannien keine Sekunde beeindrucken. Im Gegenteil. Sie nahm die Herausforderung an, zeigte bereits auf dem Abreiteplatz ihren Mut zum Risiko. Kampflos wollte sie den Wettkampf um die EM-Schärpen nicht aufgeben. Schon gar nicht ihren Kampf um die Einzeltitel. Schließlich ist sie die Titelverteidigerin von Hagen 2021. Und schließlich ist ihre persönlicher Plan glasklar: Den Olympiasieg von Tokio in paris wiederholen. Das sagt sie so nicht, aber sieht jeder, wenn sie reitet.
Vom Start weg ging die jetzt 16-jährige Trakehnerstute wie man sie kennt: Hoch und konstant durchs Genick! Mit viel Schwung nach vorne. Auf den Computertafeln rund ums Viereck leuchteten sogleich Wertungen um die 84 Prozent auf. Der starke Trab, wie immer ein Höhepunkt. Die fliegenden Wechsel schnurgerade und rhythmisch. Die Pirouetten mit etwas zu wenig Vorwärts. Fast alles sah wie immer spielend leicht aus. Trotz der hohen Temperaturen keine Spur von Schlappheit oder gar Müdigkeit. Wie man Dalera kennt: Jederzeit aufmerksam, total bei der Sache und leistungsbereit.
Charlotte Dujardin stellte ihren Imhotep etwas zu eng im Hals vor. Allzu viel Risiko mochte sie nicht eingehen, konnte fest davon ausgehen, dass es für sie und ihr Team zum EM-Titel reichen würde, dem zweiten nach Rotterdam 2011. Damals ritt sie ihren Valegro; mit im Team standen seinerzeit Emile Faurie, Laura Bechtolsheimer und ihr Mentor Carl Hester.
Dann also Glamourdale unter „Littie“ Fry: Den von vielen (auch von mir) erwarteten, spektakulären Auftritt mit einem Feuerwerk von Höhepunkten – daraus wurde nichts. Schade. In den Piaffen mochte der Hengst die Beine nicht so recht heben. Die Pirouetten gerieten etwas zäh und schleppend. Stark dagegen der starke Trab und sein Markenzeichen, der starke Galopp. Zu diesem Zeitpunkt sah man auf den Anzeigetafeln schon klar und deutlich, dass es heute zum erhofften Sieg und Paukenschlag in der Einzelwertung nicht reichen würde.
Im EM-Kampf um die drei zu vergebenden Goldmedaillen steht es heute Abend eins zu null für die Briten. Aber in der Einzelwertung für die kommenden Tage mit dem Spezial am Samstag und der Kür am Sonntag ist Jessica von BredowWerndl für mich – und für viele andere – die klare Favoritin. Sie sagt: „Ich staune immer wieder, welche Leistungen meine Stute bringt. Dass sie immer für mich kämpft, dass sie immer ganz bei der Sache ist, dass ich heute auf der Schlußtour das Gefühl hatte, so gut sei sie noch nie gegangen.“
Das Ergebnis in der Team-EM: 1. Großbritannien 242,220 Punkte, 2. Deutschland 239,674 Punkte, 3. Dänemark 228,727 Punkte, 4. Frankreich 216,770 Punkte, 5. Österreich 216,119 Punkte.
Morgen im Spezial um den EM-Titel in der klassischen Tour stehen die punktbesten 30 Pferde auf der Startliste. Zur Kür am Sonntag sind 18 Pferde zugelassen, pro Nation aber nur höchstens die punktbesten drei Pferde. Vor der Kür gibt es einen Vet-Check für die Finalpferde.