Für mich als einigermaßen gebildeten Zeitgenossen ist es äußerst hilfreich, das klitzekleine Latinum intus zu haben – zum kleinen oder gar zum großen Latinum hat es leider nicht gereicht. Zu doof! Aber immerhin: Ich kenne den historisch bedeutsamen Ausruf: „Hannibal ante portas!“ Strikt übersetzt, heißt das: Hannibal vor der Tür! Frei übersetzt und damit klarer, bedeutet es: Der Feind ist im Kommen, er steht schon vor der Tür! Damit wären wir bei Martin Richenhagen. Der 72-Jährige ist nun doch dazu bereit, im Herbst zu kandidieren, wenn es um die Wahl des neuen FN-Präsidenten geht. Woher der Sinneswandel?
Sie erinnern sich: Mit beißender Kritik und jeder Menge Selbstvertrauen äußerte sich der 72-Jährige, frühere Reiter und Richter, Equipenchef der Dressurreiter bei den Spielen von Hongkong 2008 und welterfahrene CEO des US-Landmaschinenkonzerns AGCO, vor Monaten zur dramatischen Finanzkrise der FN. Präsident Erbel und Finanzkurator Ziegler müssten zurücktreten, ebenso der Generalsekretär Lauterbach! Nach einem konsequenten Kassensturz müssten harte, ja unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, um die Finanzen des Reiterverbandes wieder auf eine solide, zukunftsfähige Basis zu stellen.
Er wäre bereit, so Richenhagen damals, fürs Präsidentenamt zu kandidieren. Aber leider habe er keine Mehrheit in der entscheidenden Verbandsversammlung. Vor diesem Hintergrund könne er nicht antreten. Heut‘ sieht die Sache wieder anders aus: In einem kurzen Gespräch mit dem Reiterjournal Baden-Württemberg sagt Martin Richenhagen gestern, er werde zur Kandidatur aufgefordert, und er werde bei der Wahl, die im Herbst anstehe, nun doch antreten.
Auf die Frage, wer ihn zur Kandidatur gedrängt habe, antwortete Richenhagen: „Die Landesverbände und der Spitzensport.“ Auch die mit der Kandidatensuche betraute Findungskommission, neun Mitglieder stark, habe sich an ihn gewandt mit der Bitte, seinen Hut nun doch in den Ring zu werfen. Die Frage, ob er eine regelrechten Wahlkampf führen wolle, verneinte Richenhagen. Er halte das „nicht für notwendig“.
Und dann sagte Martin Richehagen: „Im Moment lebe ich in den USA. Aber ich habe, 15 Minuten entfernt von der FN-Zentrale an der Freiherr-von-Langen-Straße in Warendorf ein Haus mit einer Haushälterin und einem Auto mit Warendorfer Kennzeichen. Wenn ich gewählt werde, komme ich zurück nach Deutschland.“ Rechne er mit Gegenkandidaten, so die Frage: „Das ist nicht auszuschließen!“
Nächste knifflige Frage: „Wie Sehen Sie den Generalsekretär Sönke Lauterbach, dessen Rücktritt sie kategorisch gefordert haben?“ Antwort: „Sönke ist ja ein alter Freund von mir. Ich denke, wir könnten da eine faire Lösung finden.“
Diese Kehrtvolte in der causa Finanzkrise und ihrer Folgen kommt für mich nicht überraschend. Seit Wochen, seit dem Rückzug von Martin Richenhagen und seinem Hinweis, er habe in der FN-Verbandsversammlung bis dato keine Mehrheit, brodelt dieses Thema unter der Oberfläche. Es seien, so hörte man immer wieder, namhafte Persönlichkeiten aus dem Spitzensport, etwa Isabell Werth und Ludger Beerbaum, aber auch Madeleine Winter-Schulze dabei, sich für Richenhagen stark zu machen. Er selbst hatte sich in Interviews auf die Unterstützung von Isabell und Ludger berufen.
Ob wirklich alle „Landesfürsten“ jetzt die Kandidatur Richenhagens befürworten, ja sogar ihn dazu drängen – es lässt sich schwer einschätzen. Sagen wir mal so: Die unternehmerisch und strikt wirtschaftlich denkenden Präsidenten und Führungsleute aus den Bundesländern trauen einem Manager, der in den USA den drittgrößten Weltkonzern der Landmaschinenbranche geführt hat, und das über mehr als ein Jahrzehnt, die Sanierung der schwer unter Druck geratenen Finanzen einer FN zu. Richenhagen hat über die Jahre die Verantwortung für Milliardensummen getragen – dagegen sind ein paar Millionen des Reiterverbandes wirklich wie Peanuts.
Aber Vorsicht! Es geht bei dem Versuch, die FN vor der Pleite zu bewahren, nicht nur ums Geld, um solide Haushalte und sparsame Politik, schließlich auch nicht nur, Personal abzubauen, was unvermeidlich ist. Es geht vor allem auch darum, das schwer angeschlagene Image des Reiterverbandes in der Öffentlichkeit so schnell wie irgend möglich wieder zu verbessern. Es ist doch ein Treppenwitz der Sportgeschichte, dass der bei Olympia in Versailles mit Abstand erfolgreichste Reiterverband der Welt kein Geld mehr hat, um seinen Gold-Jungs und Gold-Mädels einen glorreichen Empfang auszurichten!
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich plädiere hier nicht für die Ausrichtung des aufwendigen Championatsballes, der sage und schreibe 120 000 Euro gekostet hat und mit zur finanziellen Schieflage geführt hat.
Stand heute spricht vieles dafür, dass der nächste Präsident der FN Martin Richenhagen heißen wird. Aus pragmatischer Sicht leuchtet mir ein, dass die Landesfürsten ebenso wie die Spitzenreiter am Ende froh sein müssen, überhaupt jemanden gefunden zu haben, der bereit ist, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dass Marin Richenhagen genügend Erfahrung und Rüstzeug dafür mitbringt, steht für mich außer Zweifel. Allerdings müssen sich alle im Klren darüber sein, dass mit diesem Mann nicht gut Kirschen essen ist!
Schließlich wird, manche Leser*innen erinnern sich, mein ernster Einwand gegenstandslos: Ich hatte von einem Geschmäckle gesprochen, weil Martin Richenhagen seit einigen Jahren als Herausgeber der Reiter Revue International fungiert. Wer im Verband ein Ehrenamt bekleidet, zumal ein führendes, der darf keinen Einfluss haben im Bereich der Medien! Ds verträgt sich nicht mit der Demokratie. Nun, die Kalamität hat sich bald von selbst erledigt: Die Reiter Revue hat der Landwirtschaftsverlag in Münster an den Jahr-Verlag in Hamburg verkauft, wo unter vielem anderen der St. Georg erscheint.
Alles in allem. Die personelle Neuordnung an der FN-Spitze scheint auf gutem Weg zu sein. Jetzt sollte man nicht mehr allzu viel Zeit verlieren. Die vergangenen Jahre unter einem Präsidenten Hans-Joachim Erbel und einem Finanzukrator Gerhard Ziegler waren leider verlorene Jahre.