Die Welt des Sports blickt an diesem Wochenende in den deutschen Norden und vor allem nach Hamburg: Holstein Kiel kickt alsbald in der ersten Liga, der HSV indessen hat zum siebten Male den Aufstieg dorthin verpasst. Allerdings ist der FC St. Pauli heute ebenfalls aufgestiegen. Beim 93. Deutschen Springderby in Klein Flottbek endet nach 25 Jahren die Ära des Organisators Volker Wulff – der sagt: „Reitsport ist so ohne Zukunft!“ Die präzise Begründung bleibt er uns leider schuldig. Marvin Jüngel indessen wiederholt auf Balou’s Erbe seinen Sieg aus dem Vorjahr. Kompliment! Doch das 93. Derby hinterlässt bei mir einige Fragezeichen.
Im Hamburger Abendblatt, das übrigens zur Funke Mediengruppe gehört, geleitet, wie wir wissen, von Otto Beckers Ehefrau Julia, sagt Volker Wulff im Interview: „Selbstverständlich hätte ich mir gewünscht, dass ein Vierteljahrhundert harmonischer ausgeklungen wäre. Ich hatte gehofft, dass hanseatisches Geschäftsgebaren und ein offenes Visier wichtiger sind als kleinkarierte Ränkespiele und Flunkereien. Schwamm drüber. Man lernt eben nie aus.“
Und weiter: „Wir haben in diesem letzten Jahr bewusst regulativ eingegriffen, um allzu schwache Ritte zu vermeiden – und damit schlimme Bilder im Fernsehen. Diese schaden unserem Sport. Ich befürchte, dass es Reitsport in seiner jetzigen Form in zwanzig Jahren ohnehin nicht mehr geben wird. Sozial verantwortliche Ereignisse werden immer problembewusster zu organisieren sein.“ (Vor einem Jahr, wir erinnern uns, sprang ein Pferd, das völlig außer Kontrolle geraten war, in einem Satz von großen Wall herunter. Alles ging glimpflich ab. Aber so etwas darf nie wieder passieren!)
Was genau Volker Wulff mit seinem kritischen Blick in die Zukunft meint, weiß ich nicht. Dass ihn die Granden des Norddeutschen- und Flottbeker Reitervereins (NFR) ziemlich ruppig vor die Tür gesetzt, das heißt, seinen jetzt auslaufenden Vertrag nicht verlängert haben, wirft kein gutes Licht auf diesen Traditionsverein. So sollte man nicht miteinander umgehen.
Also versuchte Matthias Rath, der künftige Organisator mit seiner Schafhof Connects, im Gespräch mit derselben Zeitung, die Wogen zu glätten, kein Öl ins Feuer zu gießen: Er hielte es für unsportlich, so wird er zitiert, seinem Vorgänger in die Parade zu fahren. Bis Sonntagabend, also bis zum heutigen Ende des Derbys, werde er sich zurückhalten. Matthias Rath: „Das eine oder andere hätte man gewiss anders steuern können. Die Kommunikation des Führungswechsels durch den Reiterverein lief ungeschickt.“
In dem Artikel des Abendblatts vom vergangenen Freitag wird übrigens nicht völlig ausgeschlossen, dass es nach dem unerfreulichen Ende der Ära Volker Wulff und seiner En Garde noch zu juristischen Auseinandersetzungen kommen könnte.
Nun zum Sport und zum 93. Deutschen Springderby. 1920 hatte der legendäre Eduard Pulvermann den Parcours über 1230 Meter mit 17 Hindernissen und 24 Sprüngen entworfen. Über Jahrzehnte war es tatsächlich das spektakulärste Springen im internationalen Sport. Die ewige Siegerliste klingt phänomenal. Doch seit den 2000er Jahren handelt es sich beim Derby eher um eine norddeutsche Meisterschaft mit Favoriten aus den alten und den neuen Bundesländern. Andre Thieme aus Plau am See beispielsweise siegte dreimal, Fritz Thiedemann fünfmal mit fünf verschiedenen Pferden und Nelson Pessoa, bis heute unerreicht, holte sich das Blaue Band siebenmal!
Marvin Jüngel, 22 Jahre junger Profi aus dem Osten, schafft mit seinem Wallach Balous Erbe im Umlauf den 164. fehlerlosen Ritt seit 1920, sein Landsmann Frederic Tillmann auf Comanche den 163. Frederics Bruder Gilbert siegte übrigens 2013 auf Hello Max. Viele erinnern sich noch.
Im Stechen riskiert Frederic ein wenig zu viel, treibt ohne Not zu stark auf die Schlussmauer zu und muss einen Abwurf hinnehmen. Marvin Jüngel agiert cool und abgezockt, holt sich das zweite Blaue Band hintereinander und freut sich über 30 000 Euro Siegprämie. Frederic Tillmann bekommt für Rang zwei 24 000 Euro. Die Dotierung fürs Derby beträgt 120 000 Euro.
Zum Vergleich: Der Große Preis von Hamburg am Samstag war mit 250 000 Euro dotiert. Yuri Mansur, unser Freund aus Brasilien, siegte auf seiner Miss Blue, kassierte die Siegprämie von 62 500 Euro. Platz zwei für Steve Guerdat und Lancelotta, Prämie 50 000 Euro. Ex-Europameister Andre Thieme und seine Chakaria auf Platz drei, Prämie 37 500 Euro.
Zurück zum Derby: 32 Pferde standen auf der Startliste, neun von ihnen schieden aus, weitere sechs kamen mit 20 und mehr Fehlern ins Ziel. Die Hoffnung von Volker Wulff, dass sich die schlechten Bilder nicht wiederholen würden, hat sich leider nicht erfüllt. Ich meine: Das Springderby ist ein Anachronismus, der sich überlebt hat und aus der Zeit gefallen ist!
Ich bin gespannt, welche Handschrift Matthias Rath und sein Team diesem Traditionsturnier unweit der Elbe bei der 94. Auflage in einem Jahr verpassen werden. Natürlich werden sie nicht vom traditionsreichen Derby lassen. Aber das Starterfeld, das von sich sagen kann, es habe die notwendige Qualifikation, wird von Jahr zu Jahr immer kleiner werden. Und das Risiko bei einzelnen Reitern und Pferden wird immer höher.