Die kritische Debatte um das Verbot des Touchierens geht intensiv weiter. Das finde ich gut. Anfang Mai, so der Stand heute, soll das vom FN-Präsidium beschlossene Verbot in Kraft treten. In einem großen Interview mit der FAZ-Sonntagszeitung hat Isabell Werth heute dieses Verbot kritisiert. Sie sagt: „Leider hat unser Verband nicht den Mut, ganz klar dazu zu stehen, dass wir auch als Reiter und Pferdehalter einen Erziehungsauftrag haben – wie Eltern bei einem Kind.“ Das klingt für mich wie der harte Merksatz: Der Zweck heiligt die Mittel!

Der nächste Satz aus dem Interview, den ich zitieren möchte, lautet: „Wir müssten den Leuten eigentlich erklären, dass wir auch mal ein Pferd touchieren dürfen sollten, damit es weiß, hier muss ich eine Reaktion zeigen. Es ist ja nicht das Ziel des Touchierens, Schmerzen zuzufügen, sondern die Reaktionsfähigkeit eines Pferdes zu verfeinern. – Ich halte es nicht für richtig, den Menschen nicht zu erklären, dass wir unsere Pferde ausbilden und erziehen und taktile Reize wie Touchieren dazugehören. Daran wird auch das Verbot nichts ändern.“

Thies Kaspareit, Mannschafts-Olympiasieger von Seoul 1988, renommierter und einflussreicher Ausbilder in den Diensten der FN und des DOKR, hat vor wenigen Wochen diesen jetzt auch von Isabell Werth benutzten Begriff der „taktilen Reize“ erstmals verwendet. Ich hatte das bis dato noch nie gehört – prüfen wir also einmal nach, was er genau bedeutet. Er stammt, soviel gleich vorweg, aus der Humanmedizin und bedeutet so viel wie „Die passive Wahrnehmung über den Tastsinn wird als taktil bezeichnet.“ Es gibt dabei vier Varianten: die Berührung, die Erkundung, die Temperatur und den Schmerz.

Wir als Laien tun uns schwer mit dieser Einordnung. Ehrlich gesagt, ich bezweifele, dass der Begriff von den taktilen Reizen hilfreich ist für die kritische Diskussion um das Touchieren. Ich gebe Isabell Werth übrigens recht, wenn sie darauf verweist, dass das auf dem RTL-Video vom 11. Januar gezeigte Pferd nach dem Touchieren und dem Überwinden des Hindernisses keinerlei Reaktion zeigt: Kein Davonstürmen, kein Kopf-hoch-Reißen, kein Ausbrechen nach links oder rechts. Immerhin, Ludger Beerbaum hat, wie berichtet, sein Verständnis gezeigt für das bevorstehende Verbot des Touchierens.

Nun, Isabell Werth tut das nicht, was ihr gutes Recht ist. In ihrem Gespräch mit der FAZ-Sonntagszeitung von heute sind übrigens die bei Ludger Beerbaum auf einem Dachboden gefundenen Sprungstangen mit Kunststoffnoppen in der Mitte gar kein Thema. Und Isabell Werth erwähnt auch nicht, dass sie selbst über die Jahre immer wieder einmal in den sogenannten sozialen Medien harsch angegangen worden ist für ihren ab und an recht ruppigen Umgang mit ihren Pferden auf dem Abreiteplatz, etwa in Aachen. Ihre Erfolge in mehr als drei Jahrzehnten sind grandios. Doch ob sie will oder nicht: Unsere Gesellschaft hat sich in diesen 30 Jahren verändert. Übrigens nicht nur in der Frage, wie man mit Kindern umgeht, sondern auch in der Frage, wie man es mit den Tieren hält.

Ich wiederhole es gerne: Das in Warendorf beschlossene Verbot des Touchierens ist aus meiner Sicht eine sport- und verbandspolitische Entscheidung. Ob einem das gefällt oder nicht. Wenn die Reiterei die öffentliche Akzeptanz in der Gesellschaft verliert, weil sie darauf beharrt, ihren harten Weg fortzusetzen, ohne nach rechts und links zu schauen – das würde kein gutes Ende nehmen. Deshalb ist es gut, dass die Entscheidung in Warendorf einstimmig gefallen ist. Isabell Werth mag die 27 Mitglieder der Fachkommission sowie das FN-Präsidium als „mutlos“ kritisieren – die Leute dort tragen die Verantwortung für das Ganze, für die Reiterei von der Weltspitze bis zur lokalen Ebene. Isabell Werth trägt, genau genommen, „nur“ die Verantwortung für sich und ihren Stall. (Der internationale Klub der Dressurreiter, dem sie vorsteht, ist der Öffentlichkeit völlig unbekannt.) Ich bin der Ansicht, dass sie in der aktuellen Debatte irrt.