Dieser Abend im noblen Kurhaus zu Baden-Baden war, wenn ich mich nicht sehr täusche, kaum im Sinne von Isabell Werth. Ihre Mimik sprach jedenfalls Bände – die TV-Kameras sind ja bekanntlich gnadenlos, wenn sie sich den Gesichtern zuwenden.

Immerhin, so könnte man jetzt einwenden, sind die deutschen Dressurdamen bei dieser 75. Wahl zum/zur Sportler*in des Jahres auf den zweiten Platz gewählt worden von rund eintausend Journalistinnen und Journalisten aus der Sportszene. Das hat es lange nicht mehr gegeben. Über die letzten Jahre schwankte das Wahlergebnis so zwischen Rang fünf und neun. 2017 war Isabell Werth einmal gefeierte Dritte.

Als die ZDF-Moderatoren Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne unsere drei Dressurdamen, die Olympiasieger von Tokio, nach vorne baten, brachte Isabell Werth, nur in einem Nebensatz angedeutet, leise Kritik an:

„Die Mannschaftsführung kann heute leider nicht hier sein.“

Meine offene Frage: Hatte die Bundestrainerin keine Zeit oder wurden die Bundestrainer durch die Bank nicht eingeladen? Die Antwort ist wohl in den leidigen Regeln der Corona-Krise zu suchen. Immerhin hatte Isabell Werth ihre Freundin und Mäzenin Madeleine Winter-Schulze mitbringen können.

Jessica von Bredow-Werndl, mit zweimal Gold aus Tokio heimgekehrt, wirkte bei ihrem ersten Statement ziemlich abwesend – womöglich hoffte sie da noch, bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres nicht gerade auf dem undankbaren vierten Platz zu landen. Der wurde es schließlich aber doch.

Kurz das Punktetableau: Malaika Mihambo, die Weitspringerin, wurde mit 1845 Punkten bedacht, holte zum dritten Mal in Folge den Ehrentitel, dahinter die Ringerin Aline Rotter-Focken mit 942, die Kanutin Ricarda Funk mit 686 und Jessica von Bredow-Werndl mit 680 Punkten. Isabell Werth belegte mit 436 Punkten den sechsten Platz, vor Julia Krajewski mit 226.

Positiv könnte man jetzt sagen: Drei Dressurdamen unter den besten zehn einer Olympiasaison – das ist doch was, das hat es lange nicht gegeben. Andererseits könnte man kritisch anmerken, dass zweimal Gold bei Olympia offensichtlich nicht reicht, um aufs Treppchen der führenden drei zu gelangen. Sagen wir mal so: Die Geschichte der fünf jungen Damen aus dem Bahnrad-Vierer, die den ehrentitel bekamen, klingt wirklich gut: Gold in Tokio mit drei WM-Zeitrekorden, dazu WM-Sieg und EM-Sieg.

Hut ab! Und natürlich fiel jedem Zuschauer*in auf, dass diese jungen Frauen tatsächlich ein Team sind. Dressurreiten ist das in diesem Sinne nicht. Ohne hier ein Geheimnis zu verraten: Dressurreiten braucht Individualisten ohne Wenn und Aber! Aus dem Umfeld von Isabell Werth weiß man beispielsweise, dass die Dressur-Königin damit hadert, in Tokio die Kür nicht gewonnen zu haben – hätten die Richter sie und ihre Bella Rose auf Gold gesetzt, womöglich hieße die Sportlerin des Jahres 2021 Isabell Werth.

Es hat nicht sollen sein. Auf Rudi Cernes Frage, ob sie denn bis Paris 2024 weiterreite, um dort dabei zu sein, antwortete sie, wenn ich’s recht verstanden habe, sinngemäß: Man sollte nicht zu früh hoffen!

Zum guten Schluss der Blick in die Historie – wirklich große Zeiten für die deutsche Reiterei: 1955 und 1956 wurde Hans Günter Winkler zum Sportler des Jahres gewählt, 1955 war er Weltmeister, 1956 Olympiasieger. Fritz Thiedemann wurde 1958 an die Spitze gewählt. Damals war er in Aachen Europameister geworden. Und 1969 wurden unsere Springreiter mit HG Winkler zur Mannschaft des Jahres gekürt – sie hatten in Aachen den Preis der Nationen gewonnen und besaßen – übrigens auch bei der Boulevardpresse, viele Sympathien. Seither gab’s keinen Titel mehr für die Reiter.

Mein Vorschlag zur Güte. Haken wir die Sportlerwahlen einmal mehr ab. Freuen wir uns an den Erfolgen der Aktiven – ganz gleich, welcher Nationalität.