Mit einem nahezu perfekten Ritt auf dem Dressurviereck hat Michael Jung auf FischerChipmunk seine Favoritenrolle beim Fünf-Sterne-Event im Kentucky Horse Park eindrucksvoll unterstrichen. Eine „Zehn“ vom österreichischen Richter Christian Steiner sowie ein Dutzend „Neuner“ brachten ihn mit nur 20,1 Punkten an die Spitze des 45-er-Feldes. Heute Abend im Gelände (20.34 Uhr) und morgen Abend unserer Zeit im Parcours kann Michael Jung aus eigener Kraft seinen fünften Sieg in Lexington erringen. 

Wer’s nicht mehr so genau weiß, dem sei’s hiermit nochmal gesagt: 2010 holte sich Michael Jung auf Sam in Lexington seinen ersten Weltmeistertitel. 2016, 2017 und 2018 siegte er mit FischerRocana dreimal im Folge in der Fünf-Sterne-Prüfung; 2016 gab’s am Ende den mit 350 000 Schweizer Franken dotierten „Rolex Grand Slam“. Sein fünfter Triumph auf dem mehr als 600 Hektar großen Areal vor den Toren von Lexington liegt in greifbarer Nähe.

Nach seiner Dressur sagte Michael Jung vor der Presse: „Ich bin sehr glücklich, wieder hier in Kentucky zu sein – es ist ein wundervoller Platz. Ich genieße es sehr und mein Pferd genießt es auch. Hier ist Pferdeland, die Stallungen sind schön, es gibt phantastische Plätze, um die Pferde aufzuwärmen und sie vorzubereiten auf den Wettkampf nach dem Flug von Europa hierher.“ Auf die Frage nach FischerChipmunk, der erstmals in Kentucky an den Start geht, sagte sein Reiter: „Mit meinem 14-jährigen Hannoveraner habe ich ein Superpferd, ich genieße es, ihn zu reiten. Ich bin sehr glücklich mit ihm und bin der Fischer-Crew außerordentlich dankbar, ihn reiten zu dürfen. Es ist seine erste Fünf-Sterne-Prüfung.“

Der Blick auf das Dressurergebnis zeigt: Einmal mehr entwickelt sich in Lexington so etwas wie der Erdteilkampf zwischen den gastgebenden Amerikanern und den wenigen Gästen aus Europa: Michael Jung liegt, wie gesagt, mit 20,1 Punkten an der Spitze, gefolgt von der erfahrenen Britin Sarah Bullimore auf Corouet (25,7) und dem US-Profi Bruce Davidson jr. auf Carlevo (27,4).

Schaut man genau auf die 45 Teilnehmer in diesem Jahr 2022, so fällt auf, dass nur wenige Europäer in die USA gereist sind: Oliver Townend, Tom McEwen  und William Fox-Pitt fehlen, aber auch aus dem deutschen Olympiakader ist nur Michael Jung dabei. Weit und breit auch kein starker Franzose. Das Feld besteht weit überwiegend aus US-Reitern, deren Namen uns hier in Europa wenig bis gar nichts sagen. Das könnte sich allerdings in der Nacht zum Montag durchaus ändern, wenn nach dem Springen die sportliche Bilanz gezogen wird. Es wäre gewiss verfrüht, Michael Jung jetzt schon zum Sieger auszurufen.

Michael Jung sagte im Vorfeld der mit 375 000 US-Dollar dotierten Prüfung: „Das Gelände in Lexington gefällt mir sehr, der Boden im Gelände ist überwiegend weich. Ich habe bewusst die Tour nach Kentucky gewählt, um mich noch besser auf Chipmunk einstellen zu können. Normalerweise dauern die Gelände-Prüfungen bei uns ja um die fünf Minuten, beim Fünf-Sterne-Klassiker in Kentucky geht’s um rund elf Minuten – das ist schon ein erheblicher Unterschied.“ Ohne dass Michael Jung dies extra betonen müsste: Sein aktueller Turnierplan zielt konsequent ab auf die Weltmeisterschaft Mitte September in Pratoni del Vivaro vor den Toren von Rom.

Kurzer Blick in die kommende Woche: Bereits am Dienstag will Michael Jung wieder zurück sein in der Heimat, denn am Donnerstag/Freitag hat er mit Kilcandra Ocean Power und Hightlighter zwei Pferde am Start in der Vier-Sterne-Prüfung von Marbach. Dort geht’s bekanntlich einmal mehr um die deutsche Meisterschaft der Berufsreiter, die Michael bereits sieben Mal gewonnen hat. Mit im Feld übrigens auch Sandra Auffarth, Andreas Dibowski, Dirk Schrade, Andreas Ostholt und Pia Münker. Die Olympiasiegerin Julia Krajewski kommt auch nach Marbach, sattelt allerdings nur ihre Nachwuchspferde in der Zwei-Sterne-Prüfung. Eigentlich schade.