Jetzt haben wir den Salat: Alle Bitten und Forderungen der Aktiven, alle Warnungen aus dem großen Kreis der Trainer, Besitzer und nicht zuletzt der Medien haben nichts gefruchtet. Die heftig umstrittenen und in Tokio scharf kritisierten neuen Regeln bleiben für die olympischen Spiele von Paris leider in Kraft. Auch 2024 besteht ein Team nur aus drei Reitern, auch die Streichresultate bleiben gestrichen!
Das Ergebnis der entscheidenden Abstimmung bei der FEI-Generalversammlung in Antwerpen war erschreckend eindeutig: Nur 30 nationale Verbände votierten dafür, die altbewährten Regeln wieder einzuführen, also vier Aktive pro Team und zurück zum Streichresultat. Nicht weniger als 70 Verbände stimmten dafür, die Regeln von Tokio nicht zu ändern.
Angesichts dieser negativen Entscheidung muss man erst einmal tief durchatmen. Der mutige, stets klar und eindeutig argumentierende Steve Guerdat hatte tags zuvor in seiner Rede an die Delegierten die Haltung des internationalen Clubs der Springreiter noch einmal unterstrichen. Es gehe, so der 39-jährige Olympiasieger von London 2012, „um das Wohl unserer Pferde“. Sein Appell gipfelte in dem Satz:
„Ich möchte meiner Tochter in die Augen schauen und ihr sagen können, dass ich alles versucht habe, um den Sport zu retten, den ich über alles liebe.“
Vergeblich.
Von Gegenreden derjenigen nationalen Verbände, die die Dreier-Regel und die Abschaffung des Streichresultats befürworten, liest man in den Berichten und Protokollen nichts. Nur die kurzsichtige Haltung: So viele Teams wie nur möglich, müssten die Chance haben, bei Olympia anzutreten. Die negativen Erfahrungen von Tokio spielten dabei überhaupt keine Rolle. Sicher ist dies:
Die deutsche FN hatte bereits im Vorfeld der Versammlung von Antwerpen klar erklärt, sich für die Rückkehr zu den alten Regeln einzusetzen und entsprechend abzustimmen. Wer genau die 29 weiteren Befürworter dieser Linie waren, das weiß man nicht. Offenkundig haben nicht alle Europäer für die alten Regeln votiert.
Wichtig zu wissen: Im Weltverband der Reiter (FEI) hat jedes Mitgliedsland nur eine Stimme! Abstimmungsberechtigt sind also auch viele kleine Länder, in denen es nur geringen Turniersport gibt oder auch gar keinen. Immerhin gibt’s, wenn man so will, ein Trostpflaster für Steve Guerdat und seine Kollegenschaft: Die FEI wird das System der Olympiaqualifikationen für Paris kritisch prüfen, verschärfen und im Dezember 2022 öffentlich bekanntmachen.
Es soll dann eine Liste von den Turnieren geben, bei denen sich die Aktiven qualifizieren können. Und: Welche Regeln für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles gelten sollen, darüber wird man 2023 im FEI-Sportforum diskutieren. So wird zumindest der Eindruck erweckt, die FEI sei ja jederzeit bereit und willens, mit den Aktiven zu reden, ihre Wünsche und Forderungen anzuhören.
Niederlage für Martin Richenhagen
In Antwerpen ging es dieser Tage auch um die Neuwahlen der Vorstände bei den FEI-Komitees für Springen und Dressur. Erwartungsgemäß bleibt der Essener Stephan Ellenbruch (59) für vier weitere Jahre Vorsitzender des Spring-Komitees. Mit besonderer Spannung wurde die Wahl zum Vorsitz des Dressur-Komitees erwartet: Die Mexikanerin Maribel Alonso machte nicht unerwartet das Rennen, ihre Mitbewerber Martin Richenhagen und der Däne Ulf Helgstrand hatten das Nachsehen.
Der bisherige Vorsitzende des Dressur-Komitees, der Aachener Turnierleiter Frank Kemperman, hat nicht mehr kandidiert. Der FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach berichtete im offiziellen Pressedienst des Verbandes, es seien „bei der Wahl durchaus kontinentale Interessen aufeinander gestoßen“. Man habe gewusst, „dass es sehr schwierig werden wird, zwei Deutsche an der Spitze der wichtigsten zwei Disziplinen zu bekommen“.
Kurz und knapp von mir bewertet: Aus rein deutscher, aber auch aus europäischer Sicht sind die Beschlüsse von Antwerpen ein weiterer Tiefpunkt. Die führenden Nationen in Dressur und Springen, die Länder, in denen die allermeisten Topturniere stattfinden, werden ein ums andere Mal überstimmt.
Schade übrigens, dass Stephan Ellenbruch, alter und neuer Vorsitzender des Spring-Komitees, kein Anwalt ist für die Rückkehr zu den vernünftigen Regeln mit vier Reitern und Streichresultat. Dem Argument vieler Aktiver, die Schonung der Pferde müsse absolute Priorität bekommen, mochte auch Ellenbruch nicht konsequent folgen. Viele andere übrigens auch nicht.
In den Sonntagsreden wird das Tierwohl häufig als edles Ziel formuliert – wenn’s aber zum Schwur kommt, geht’s nur noch um den persönlichen Ehrgeiz und die nationale Brille. Schade auch, dass die führenden Springreiter beim CHIO in Aachen damit begonnen hatten, Unterschriften zu sammeln im Vorfeld der FEI-Versammlung. Damit wollte man den von Steve Guerdat erhobenen Forderungen starken Nachdruck verleihen.
Von dieser Unterschriftenaktion ist seit Wochen keine Rede mehr. Die Hoffnung, dass die Aktiven endlich einmal mit einer Zunge sprechen – sie ist eine Illusion. Aus seinem Umfeld verlautete, dass Steve enttäuscht darüber sei, nicht mehr Rückenstärkung von seinen Kolleg*innen bekommen zu haben. Von den Buschreitern hat man während der ganzen Debatte übrigens kein öffentliches Wort gehört. Von den Dressurreitern auch nicht.
Was soll man da noch sagen? Ich fürchte – nicht erst seit heute – dass leider die meisten Topreiter sich zu wenig um das Image ihres Sports in der Öffentlichkeit scheren. Sie agieren mitunter wie in einer Blase. Hoffentlich kommt’s nicht irgendwann zu einem bösen Erwachen.