Seit Jahren schon hält sich dieses Vorurteil wie eine zähe Masse: Die Bedeckungszahlen sinken und sinken, die deutsche Pferdezucht schrumpft, die internationale Konkurrenz läuft ihr den Rang ab. Jetzt kommen von Klaus Miesner, dem Geschäftsführer Zucht der FN, aktuelle Zahlen für 2021. Und siehe da: „Betrachtet man die Gesamtzahlen über alle Rassen hinweg, so stellt man fest, dass sich die deutsche Pferdezucht im Jahr 2021 generell im positiven Bereich bewegt.“
Der führende deutsche Zuchtfunktionär aus Warendorf begründet seine These mit diesen Zahlen: „So stieg die Zahl der Stuten von 83 927 im Jahr 2020 auf 85 849 eingetragene Stuten im Jahr 2021. Die Zahl der registrierten Fohlen stieg von 38 224 auf 39 877 und die Zahl der Hengste wuchs von 8129 auf 8339. Auch die Zahl der Bedeckungen liegt für 2021 mit 45 041 deutlich über dem Niveau von 2020 mit damals 43 287.“ Für Klaus Miesner ist soviel klar: „Die Corona-Pandemie hatte kaum Einfluss auf unsere Pferde- und Ponyzucht.“
Ich erinnere mich sehr gut an mancherlei Gespräche auf den wenigen Turnieren und hippologischen Treffpunkten in der Saison 2021: Einerseits hieß es immer wieder, die Nachfrage nach guten und sehr guten Sportpferden sei enorm, das Angebot bleibe deutlich dahinter zurück. Andererseits erklärten mir erfahrene Züchter, sie kämen kaum noch oder gar nicht mehr auf ihre Kosten – für Toppferde bezahle man (fast) jeden Preis, aber für Reit- und Gebrauchspferde fehle am Markt die zufriedenstellende Nachfrage. Dabei verwies man auch auf die stark rückläufigen Mitgliederzahlen bei den Vereinen – die Pandemie wirke sich höchst negativ aus. Zugleich sah man die bunte Palette der Auktionen mit guten bis sehr guten Umsätzen. Und man sah dort auch: Eine Vielzahl guter bis sehr guter Pferde, die unter den Hammer kommen, gehen ins Ausland.
Zurück zu einigen Zahlen, die mir wichtig erscheinen: „2020 verzeichnete die deutsche Warmblutzucht einen minimalen Rückgang der eingetragenen Zuchtstuten auf 51 310. Im Jahr 2021 wurde mit 51 813 Stuten der Bestand von 2019 (51 944) nahezu wieder erreicht. Klaus Miesner schreibt: „Es ist fraglich, ob das überhaupt etwas mit der Corona-Pandemie zu tun hat, denn die Zahlen sind in diesem Bereich seit einigen Jahren stabil.“ Deutlich zugelegt habe, so Miesner, „die Zahl der neu ins Zuchtbuch aufgenommenen Stuten. Sie ist mit 9256 neu eingetragenen Stuten um zwölf Prozent höher als 2020. Und auch die Zahl der Bedeckungen überspringt 2021 wieder die Marke von 30 000. Gleichzeitig werden 2021 mehr Fohlen registriert als in den Vorjahren: 26 622.“
Miesners Analyse: „Die steigenden Zahlen hängen vermutlich auch damit zusammen, dass sich der Markt für die Reitpferde im Jahr 2021 sehr gut entwickelt hat. In diesem Zusammenhang ist auch ein wachsendes Interesse der Kunden an Zuchtstuten spürbar, wofür ja auch der deutliche Zuwachs bei den neu eingetragenen Zuchtstuten spricht.“
Noch ein kurzer Blick auf die Warmbluthengste: Ihre Zahl ist, so Klaus Miesner, „nahezu konstant geblieben“. Ihre Zahl lag 2021 bei insgesamt 2300, im Jahr zuvor waren es noch 2318. Die für 2021 erhobenen Zahlen und Tendenzen erscheinen plausibel und sind durchaus erfreulich. Bei nüchterner Betrachtung darf man allerdings eines nicht vergessen: Bis ein Pferd geboren wird, dauert es bekanntlich elf Monate, bis man einigermaßen sieht, wofür es sich eignet und wofür nicht, vergehen im Durchschnitt drei bis fünf Jahre, vielfach auch mehr.
Kurzum, Klaus Miesners Bilanz des Zuchtjahres 2021 ist quasi ein Wechsel auf die Zukunft. Wer seine Passion in der Pferdezucht sieht, wer damit Geld verdienen möchte oder gar muss, weil es sein Beruf ist, der braucht einen langen Atem. Ohne möglichst viele Menschen mit der Passion und der Sachkunde, die man nun einmal für die Pferdezucht benötigt, wäre die Reiterei gar nicht denkbar – ob in der Breite oder in der Spitze. Daran sollten wir alle immer wieder einmal denken, wenn wir Pferde sehen, bei denen uns das Herz aufgeht. Die Pferdezucht ist nicht alles, aber ohne die Pferdezucht ist alles nichts!