Eine alte Jubiläumsschrift ist mir in die Hände gefallen: „40 Jahre Reit- und Fahrverein Ludwigsburg. 17. Internationales Reit- und Fahrturnier vom 19. bis 22. Mai 1966“. Eine sporthistorische Fundgrube ersten Ranges. Wer zumindest die „Siebzig“ überschritten hat, der mag sich erinnern: 1950 gab’s das erste Nachkriegsturnier – 1971 endete leider die Tradition im Ludwig-Jahn-Stadion. Damals traf sich die Weltelite in Springen und Dressur auf einer regelrechten Tournee, die Pferde und das Equipment wurden mit einem Sonderzug der Bundesbahn transportiert: von Ludwigsburg über Wiesbaden (zu Pfingsten) zum Derby nach Hamburg. Das waren noch Zeiten.

Heute geht’s mal wieder los im Schlosspark zu Wiesbaden-Biebrich, vergangenen Sonntag strömten mehr als 20 000 Besucher in den Derby-Park von Klein Flottbek. Die Tradition der großen Ludwigsburger Turniere lässt Uli Kasselmann mit seinem Team wieder aufleben vor dem Seeschloss Monrepos; 2021 wurde dort der Anfang gemacht mit einem attraktiven Dressurprogramm, kommenden Herbst soll’s dort die Fortsetzung geben. Für das Springen auf internationalem Niveau hat man in der alten württembergischen Residenzstadt leider keine passende Turnieranlage.

Beim Durchblättern dieser in Schwarzweiß gehaltenen Festschrift aus dem Mai 1966 scheinen vor mir altbekannte Namen auf, die uns gerade in diesen Tagen wieder beschäftigen: Alwin Schockemöhle beispielsweise, der am vergangenen Sonntag seinen 85. Geburtstag begangen hat. Er gewann am 29. Mai 1965, seinem 28. Geburtstag, vor tausenden von Zuschauern im Jahn-Stadion das „Sb-Springen“ auf Exakt, einem Spezialisten für höchste Höhen. Wie hoch die Mauer damals wirklich war, lässt sich aus der alten Chronik leider nicht entnehmen, wohl aber die Tatsache, dass sein Schüler Gerd Wiltfang das Zeitspringen gewann und Hartwig Steenken auf Fairness den Großen Preis, dahinter die beiden Brasilianer Alegria Simoes (Samurai) und Nelson Pessoa (Huipil).

Selbstkritisch heißt es an einer Stelle übrigens: „Im Laufe von 16 Nachkriegsturnieren hat sich der Ludwigsburger CHI zu einer geschickt aufgebauten Vier-Tage-Veranstaltung gemausert. Viel Ballast musste dabei abgeworfen werden – übrig blieb ein geraffter Zeitplan, der sich wohltuend von den Mammutveranstaltungen der fünfziger Jahre unterscheidet.“ Als die Turniertradition 1950 begann, zählte man allein am Haupttag 20 000 Besucher, 1951 sollen es sogar 35 000 Besucher gewesen sein – die Polizei sperrte das Stadion in der Ludwigsburger Innenstadt wegen Überfüllung! Das muss man sich mal vorstellen. Nein, selbst die Aachener Soers hat in den Jahrzehnten ihres Bestehens keine Überfüllung erlebt, schon gar keine Schließung durch die örtliche Polizei.

1951 ritt übrigens der legendäre Otto Lörke in Ludwigsburg seine drei Pferde: Fanal, Adular und Chronist. Letzterer war, wenn ich mich nicht täusche, der Olympiasieger von Berlin 1936 unter Heinz Pollay. 1957 gewann Alwin Schockemöhle zum ersten Male den „Großen Preis“, danach siegte er 1961, 1964 und 1965. Fritz Thiedemann auf Meteor war 1954 und 1955 der Publikumsliebling bei den Schwaben. 1956 prägte Hans Günter Winkler die Ludwigsburger Tage mit drei Goldschleifen. Auf dem Dressurviereck glänzten die Damen Linsenhoff (Monarchist) und Küppers (Feuerzauber) sowie Willi Schultheis im Sattel von Doublette und Brilliant.

Welchen Stellenwert der Ludwigsburger Auftakt der Turnierfolge vor Wiesbaden und Hamburg hatte, zeigen diese Namen aus der Springreiterei: William Steinkraus, Piero d’Inzeo, Janou Lefebrve, Hermann Schridde. 1962 lesen wir erstmals den Namen Hauke Schmidt, damals startet auch die Amerikanerin Mary Mairs. 1964 sah das Jahn-Stadion unter Ausschluss der Öffentlichkeit die sogenannte Ost-West-Ausscheidung. Der Hintergrund: Zu den Spielen von Tokio sollte eine gesamtdeutsche Mannschaft reisen, also musste in allen Sportarten geklärt werden, wer wohl die Besten aus Ost und West sein würden. Parcourschef war übrigens Hans Heinrich („Micki“) Brinkmann.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leserinnen und Leser: Für mich sind alte Festschriften und Programmhefte eine wunderbare Lektüre, eine Fundgrube – zumal, wenn man, wie ich, als Bub und als Jugendlicher etwa die großen Turniere von Ludwigsburg miterlebt hat. Nehmen Sie sich doch mal die Zeit, stöbern Sie zwischen ihren alten Reiter- und Pferdebüchern, nehmen sie die womöglich vergilbten Dokumente von einst zur Hand. Sie werden es nicht bereuen!