Wer das Haupt- und Landgestüt in Marbach betritt, der spürt den Hauch von Historie, der dort weht im Lautertal. 1514, so wird gerne behauptet, habe man dieses königliche Gestüt damals gegründet – doch es ist wohl noch bedeutend älter. Wer sich als Pferdesportler von heute bewähren möchte, der muss zur traditionellen Vielseitigkeit antreten, die es schon gab, als dieser Sport noch Military hieß. Marbacher Military – das war ein griffiger Name. Doch die uralten Regeln sind gottlob Vergangenheit. Die Nachricht dieses Tages: Michael Jung, der Lokalmatador, führt mit fischerChipmunk und Kilcandra Ocean Power die Vier-Sterne-Dressur an. Aus eigener Kraft kann er am Sonntag zum neunten Male deutscher Meister bei den Berufsreitern werden.

Zunächst mal zur Geschichte. Anno 514, verdammt lang her also, ist im Remstal bei Stuttgart ein Bauernaufstand ausgebrochen. Die Leibeigenen begehrten mächtig auf gegen die Obrigkeit. Unter dem Namen „Armer Konrad“ ist die Revolte in die Landesgeschichte eingegangen. Sie wurde, wie erwartet, blutig niedergeschlagen; es gab wohl an die 300 Tote. Im Zuge der Fahndung nach den Aufrührern und ihren Anführern wurde in jenen kritischen Tagen bei Urach am Fuß der Schwäbischen Alb ein verdächtiger junger Mann festgenommen und verhört.

Sein Name war „Sixtus Schmid“ von Gomadingen, einem Dorf auf der Albhochfläche. Sixtus Schmid war also, lateinisch ausedrückt, der sechste Sohn vom alten Schmid. Aber er hatte ein Alibi: „Ich war nicht beim Aufstand, ich war auf dem Weg zum Gestüt meines gnädigen Herrn in Marpach!“ So ist es aktenkundig im Hauptstaatsarchiv an der Stuttgarter Kulturmeile. Der Beleg klingt schlüssig: Später wurde aus Marpach einfach Marbach. Kurzum, diese erste urkundliche Erwähnung sagt uns, dass das Gestüt im Lautertal auf jeden Fall 1514 bereits bestanden hat. Denn weshalb hätte Sixtus Schmid lügen sollen? In Urach kannte man die königliche Pferdezucht. Vielleicht findet sich ja dereinst ein weiterer Beleg; die Urkunde zur Gründung des Gestüts sucht man bis dato leider vergebens.

Mit Schwung zurück in die Jetztzeit. Die Vier-Sterne-Dressur, vor einer halben Stunde zu Ende gegangen, ist so recht nach dem Geschmack der vielen Michi-Jung-Fans. Nach blitzsauberer Runde mit seinem inzwischen 15-jährigen Hannoveraner FischerChipmunk führt der Reitmeister mit 24,3 Punkten das Feld der 46 Konkurrenten an. Platz zwei mit 26,9 Punkten gehört Jungs Zweitpferd, dem zehnjährigen Iren Kilcandra Ocean Power. Platz drei für Jungs ehemaligen Schüler Felix Vogg auf dem zehnjährigen Franzosen Dao de l’Ocean mit 28,8 Punkten, dahinter mit 29,4 Punkten die Schwedin Sara Algotsson-Ostholt auf Chicuelo. (Wir erinnern uns immer wieder an London 2012: Weil Sarah damals im Greenwich Park am letzten Sprung einen Abwurf hatte, gewann Michael Gold und sie Silber.)

Heute Rang fünf für Julia Krajewski auf der neunjährigen Franzosenstute Ero de Cantraire mit 29,8 Punkten. Allein diese fünf blieben unter der Marke von 30 Strafpunkten. Ihre Olympiastute Mandi hat Julia leider nicht mit auf die Alb gebracht. Schade übrigens, dass heuer vom Olympiakader nur Julia, Michael und Malin Hansen-Hotopp nach Marbach gekommen sind. Fast schaut es so aus, als schätzten ausländische Reiter den Vier-Sterne-Kurs auf der Alb mit seinen 35 Hindernisse auf 3648 Metern mehr als so mancher deutsche Buschreiter. Beispiel: Lea Sigl aus Österreich, Tokioreiterin, der legendäre Andrew Hoy, Tokio-Medaillengewinner, der ebenfalls olympiaerfahrene Japaner Yoshiaki Oiwa sind gekommen. Chapeau!

Rückblende 2022: Als Michael Jung vor einem Jahr seinen achten Titel bei den Berufsreitern gewonnen hatte, erklärte er mir zu meinem Erstaunen: „Ich hab‘ heute ganz bewusst ohne Armbanduhr geritten – mir ging’s gar nicht um den Gewinn der Vier-Sterne-Prüfung. Ich bin nur so schnell geritten, wie meine Pferde es zulassen.“ Damals ritt er den Iren Hightlighter. Ob der Olympiasieger von London und Rio es morgen im Gelände wieder so macht – wir werden es sehen. Was das Championat der Berufsreiter angeht, so sind ihm Julia Krajewski (29,8), Hanna Knüppel (30,1) und Nicolai Aldinger (33,8) auf den Fersen.

Soviel für den Moment. Morgen mehr um diese Zeit. Übrigens, der Viel-Sterne-Geländeritt beginnt erst um 12.30 Uhr. Wer die Ergebnisse ganz genau studieren möchte, dem empfehle ich www.rechenstelle.de