Was für ein Jahr! Was für ein Auf und Ab! Jedenfalls keine Saison für schwache Nerven! Viel Grund zur Freude, zum Jubel und zur Zuversicht, aber ebenso viel Grund zu hadern, sich nachdenklich und selbstkritisch zu fragen: Woran hat’s gelegen?

Was muss verbessert, was verändert werden? Woher kommt der talentierte Nachwuchs für diese schwierigen zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts? Wie nutzt der deutsche Spitzenreitsport die verbleibende Zeit bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris?

Die verdammte Corona-Pandemie hat uns alle schwer belastet und sie tut es an diesem Jahreswechsel 2021/22 noch immer. Sie bleibt wohl auch im kommenden Jahr das alles beherrschende Thema, denn für Ignoranz und Unvernunft, für einen missverstandenen Begriff von Freiheit und Demokratie, zahlten und zahlen zehntausende von Menschen einen hohen, einen viel zu hohen Preis!

Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Olympischen Spiele, zunächst für 2020 nach Tokio vergeben, erst 2021 dort stattfinden konnten. Die Kritik daran, dass man die Spiele überhaupt ausgetragen hat, lief als ständige Begleitmusik im Hintergrund. Vielen der Aktiven machten die Quarantäne und die strengen Kontrollen psychisch schwer zu schaffen, andere berichteten hernach, die Einschränkungen seien doch gar nicht so schlimm gewesen.

Jede und jeder hat nun mal eine eigene Sicht. Wer mit Medaillen um den Hals heimgekehrt ist, wird mit einiger Milde auf Tokio zurückschauen. Wer sich eingestehen muss, versagt zu haben, der wird seine Erinnerungen gerne verdrängen.

Meine Nummer eins!

Die Reiterin dieses so schwierigen Jahres 2021 heißt für mich klipp und klar Jessica von Bredo-Werndl! Einzelgold in der olympischen Kür, Teamgold gemeinsam mit Isabell Werth und Dorothee Schneider! Wenig später bei der EM in Hagen gleich dreimal Gold: im Spezial, in der Kür und mit der Mannschaft! Nochmal großes Kompliment! Weitere Erfolge, etwa bei der DM in Balve, erwähnen wir hier und heute nur summarisch.

Isabell Werth ritt Bella Rose in Tokio zum letzten Mal, gewann Kür-Silber und Teamgold. Ihre Fuchstute wird 2022 beim „Tschio“ in der Soers verabschiedet – 2021 ging’s leider nicht, weil das Pferd leicht angeschlagen war. Für die zuverlässige Stute Weihegold, die zum Jahresende an ihre Züchter/Besitzer zurückgehen wird, ist die Sportkarriere ebenfalls beendet.

Spannende Frage: Schafft es Isabell Werth, pünktlich zu den nächsten Olympischen Spielen ein Pferd zu präsentieren, mit dem sie wieder in die Medaillenränge vorstoßen kann? Es wäre ihr zuzutrauen, allerdings bleiben ihr bis Paris nur zweieinhalb Jahre. Das ist verdammt kurz.

Dorothee Schneider gewann in Tokio auf ihrem Showtime das zweite Teamgold, erwies sich einmal mehr als souveräne Profireiterin, auf die in jeder Lage Verlass ist. Vergessen wir nicht: Beim Turnier in Pforzheim im April hatte sie einen schweren Unfall, wurde verletzt, verlor ihre Stute Rock’n Rose. Mit Energie und Ehrgeiz schaffte sie es nach Tokio. In der Kür wurden sie und ihr Showtime unter Wert geschlagen. Schade. Auch 2022 kann die Bundestrainerin nicht auf Dorothee Schneider verzichten.

Wichtig zur Erinnerung: Bei der WM im dänischen Herning Anfang August 2022 gelten gottlob noch die bewährten Regeln: Vier Reiter*innen bilden eine Equipe, dazu wird eine Reserve nominiert. Auch das unverzichtbare Streichresultat steht weiterhin in den WM-Regeln (und den EM-Regeln) für alle Disziplinen. Hoffen wir, dass das auf die Dauer auch so bleibt!

Gemischte Bilanz im Parcours

Bei den deutschen Springreitern gibt’s für mich zwei, die 2021 international besonders geglänzt haben: Andre Thieme auf Chakaria, der neue Europameister von Riesenbeck, sowie Daniel Deusser auf Killer Queen, der strahlende Sieger im Großen Preis von Aachen! Nochmal Chapeau für beide!

Nach den schwachen Tagen von Tokio hat Otto Becker es geschafft, in Riesenbeck Silber zu gewinnen mit Andre Thieme, Christian Kukuk, David Will und Marcus Ehning. Auf heimischem Geläuf schaffte Christian Kukuk mit Mumbai den vierten Rang in der Einzelwertung – aller Ehren wert für diesen Jungprofi, vom dem man in Zukunft noch allerhand erwarten darf.

Versuchen wir an dieser Stelle den Blick voraus bis Paris 2024. Kein leichtes Unterfangen. Simone Blum, die Weltmeisterin von Tryon 2018, hat sich aus dem internationalen Spitzensport bewusst zurückgezogen – wann genau und ob sie überhaupt zurückkehrt, den Sprung an die Weltspitze wieder schafft – da gibt‘s viele Fragezeichen.

Ob ihre Siegerstute Alice, fürwahr ein Ausnahmepferd, auf den Parcours zurückommt, weiß momentan keiner, womöglich nicht einmal ihre Besitzer selbst. Ihre guten Zweitpferde hat Simone Blum verkauft. Wirklich schade, dass die so strahlende und verdiente Weltmeisterin von Tryon ihren Titel nicht so recht auskosten konnte.

Neue Ära mit Peter Thomsen

Zu den weltweit herausragenden Reiterinnen des Jahres zählt selbstverständlich und gewiss nicht nur für mich Julia Krajewski. Auf dem Gut Weiherhof der Familie Vogg in Radolfzell hatte die Bundestrainerin der Nachwuchsreiter auf ihrer französischen Stute „Mandy“ Mitte April einen spektakulären Aufgalopp mit Platz drei.

Später in der Saison wich sie clever nach Saumur aus, siegte dort für viele überraschend. Nach dem Ausfall von Ingrid Klimke führte an Julia Krajewski für Tokio kein Weg vorbei. Sie hat bei diesen olympischen Spielen 2021 Sportgeschichte geschrieben – nochmal Kompliment!

Ich bin – und gewiss nicht nur ich – sehr gespannt, wie es für Julia Krajewski im Jahr 2022 laufen wird. Wohlgemerkt, für den ganz großen Sport hat sie nur dieses eine Pferd! Also kommt es für sie wieder darauf an, die Einsätze so geschickt wie nur möglich zu planen.

Die WM der Buschreiter folgt Mitte September in Pratoni del Vivaro vor den Toren von Rom. Julia Krajewski zählt nun zum Kreis der Favoriten, quasi von der Jägerin zur Gejagten. Ob’s ihr gefällt oder nicht.

Bei der prima organisierten Buschreiter-EM im schweizerischen Avenches feierte Christ Bartle einen Triumpf, vor dem man nur den Hut ziehen kann! Das Teamgold und alle drei Einzelmedaillen gingen an seine Aktiven. Sie besitzen, alles in allem, zwölf internationale Topreiter, sprich drei komplette Equipen für alle sportlichen Fälle und Aufgaben – wer soll sie 2022 schlagen?

Nun, die passionierten Freunde der deutschen Buschreiter werden jetzt zu recht drei Namen nennen: Julia Krajewski, Michael Jung und Ingrid Klimke! Tja, wenn’s nur so einfach wäre. Ingrid Klimke war 2021 genauso vom Pech verfolgt wie Michael Jung. Klimke musste nach ihrem Sturz auf Tokio verzichten, vergab bei der EM in der Schweiz die Medaillenchance im Einzel durch einen Patzer im Parcours.

Auch Michael Jung zählte zu den Pechvögeln der Saison: In Tokio war es die verdammte Sicherheitstechnik an Hindernis 11, in Avenches war es der Schweizer Dressurrichter Christian Landolt, der – übrigens nicht nur aus meiner persönlichen Sicht – ein Fehlurteil über Michael Jung und FischerWild Wave gefällt hat. Das kostete den Doppelolympiasieger von London und Rio zumindest eine Medaille, womöglich sogar den Titel! Ich weiß, dass man das bei unseren Freunden in der Schweiz nicht so gerne hört – aber die Fakten sind eindeutig.

Daumendrücken für Peter Thomsen

Einen schönen Abschluss für den scheidenden Bundestrainer Hans Melzer war gewiss das tröstliche EM-Silber für Klimke, Siemer, Dibowski und Jung. Man darf gespannt sein, wie der neue Bundestrainer Peter Thomsen die Sache angeht. Viel Zeit bleibt bekanntlich nicht, und wer weiß, wie sich die Pandemie im neuen Jahr entwickelt. Zumindest darf man hoffen, dass unsere Buschreiter in Pratoni del Vivaro mit guten Chancen antreten.

Nicht zu vergessen: Sophie Leube hat mit ihrem Sieg in Boekelo ein Zeichen gesetzt. Hut ab! Wir bräuchten mehr solche Zeichen, mehr junge Talente, ob Reiter, ob Pferde, die nach vorne reiten, sich international zeigen, sich dem neuen Bundestrainer geradezu aufdrängen. Das gilt natürlich nicht nur für die Buschreiterei.

Nach den Spielen ist vor den Spielen. Genauer gesagt: im Medaillenspiegel von Tokio rangiert der deutsche Sport nur auf Platz neun. Zehnmal Gold, elfmal Silber und 16-mal Bronze! Das ist, alles in allem, herzlich wenig. Allein drei der zehn Goldmedaillen haben unsere Reiterinnen beigetragen! Dazu einmal Dressur-Silber und einmal Dressurbronze bei den Behinderten. Um in Paris ähnlich erfolgreich zu sein, braucht es viel Arbeit mit den Pferden und das unverzichtbare Glück.

Niederlage in Antwerpen

Seit Mitte November wissen wir ja nun, dass sich die olympischen Regeln beim Reiten leider nicht ändern. Auch in Paris bilden nur drei Reiter*innen ein Team, das Streichresultat gibt’s bei Olympia nicht mehr. Das macht es weder für die Aktiven selbst, noch für die Bundestrainer leichter. Vor allem die internationalen Springreiter hadern nach wie vor mit dieser Entscheidung. Sie fühlen sich zu recht im Stich gelassen vom IOC und von der FEI.

Auch Stefan Ellenbruch, der wiedergewählte Vorsitzende der FEI-Springkommission, muss sich den Vorhalt gefallen lassen, er habe sich viel zu wenig für „seine“ Reiter eingesetzt. Im Interview mit dem Kollegen Sascha Dubach von der Schweizer „Pferdewoche“ hatte er in Barcelona hoch und heilig versprochen: „Wir hören zu!“ Gemeint waren damit die Aktiven und ihre Forderungen. Nun, zugehört hat Stefan Ellenbruch, aber gefolgt ist er ihnen leider nicht.

Mehr noch. Marco Fuste von der FEI machte sich einen schlanken Fuss: Die Olympischen Spiele, so sagte er, fänden unter der Hoheit des IOC statt, nicht unter der Hoheit der FEI. Wer also möchte, dass das Reiten Teil des Olympischen Programms bleibe, der müsse die Wünsche des IOC nach „Mehr Flaggen!“ akzeptieren.

Kurz und knapp die Analyse am Ende dieses Jahres 2021: Das Verhältnis zwischen den führenden Springreitern und ihrem Weltverband war noch nie so schlecht! Stefan Ellenbruch hat „seine“ Reiter im Stich gelassen. Sie selbst haben sich total vermanagt: Im Vorfeld der FEI-Generalversammlung von Antwerpen hat man wenig von ihnen gehört und gesehen, jetzt, da die Beschlüsse gefasst sind, melden sie sich zu Wort. Ihre Maxime, formuliert von Ludger Beerbaum, lautet:

„Wir können nicht länger schweigen – es ist an der Zeit, Maßnahmen zu ergreifen. Sonst verschwenden wir die Zeit!“

Klingt zunächst einmal gut – aber was ist denn damit gemeint?

Von konkreten Gesprächen der Topreiter mit IOC-Präsident Thomas Bach habe ich bis dato nix gehört. Der neue FN-Präsident Hans-Joachim Erbel hält sich eher zurück, befindet sich noch in der Phase seiner Einarbeitung. Die sollte bald beendet sein, denn Thomas Weikert, der neue Präsident des DOSB, braucht rasch einen starken Ansprechpartner aus der Reiterei. Wenn man sieht, wie der Sport mit den Pferden in den Medien zurückgefallen ist – keine gute Entwicklung. Alles in allem: Ich bleibe, was ich immer war, nämlich ein skeptischer Optimist.

Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr! Bleiben Sie gesund!