Ich erinnere mich noch gut an 2010: Im Kentucky Horse Park haben Michael Jung und sein damals zehnjähriger La Biosthetik Sam ihren ersten Coup gelandet – Weltmeister bei den Weltreiterspielen (WEG). Alle staunten, das amerikanische Publikum, aber auch die internationale Konkurrenz. Wo kommt der denn jetzt her? Der hat doch vergangenes Jahr, also 2009, bei der EM in Fontainebleau bei Paris „nur“ Bronze gewonnen. Na, ja – immerhin!

Auf der ersten WEG-Pressekonferenz nach der Dressur mischt sich plötzlich der Onkel von William Fox-Pit ein, steht auf, obschon selbst gar kein Journalist, und fragte Michael listig: „Warum sprechen Sie kein Englisch?“ Psychologische Kriegsführung nennt man so etwas. Dabei hatte William Fox-Pit einige Zeit zuvor bei einem Besuch auf Schloss Sindlingen bei Fritz Pape gesagt:

„Der einzige, der uns Briten gefährlich werden kann, ist euer Michael mit den schütteren Haaren!“

Wie wahr.

Weshalb erinnere ich daran? Nun, Michael Jung plant bereits jetzt, wenn alles klappt, Ende April 2022 wieder einmal beim berühmten Five-Day-Event in Lexington/Kentucky zu satteln. Vater Joachim Jung sagte mir dieser Tage: „Wir planen mit FischerChipmunk und mit FischerWild Wave. Möglicherweise wird Michael beide Pferde mit in die USA nehmen. Wir entscheiden das zu gegebener Zeit.“ (Ganz aktuell hat der Doppel-Olympiasieger eine Einladung zum Hallenevent in Genf, wo er am Geländeritt teilnehmen wird sowie an den Springen der mittleren Tour.)

Und sonst? Joachim Jung macht es kurz mit seiner Saisonbilanz 2021: „Michael hat Tokio und Avenches bereits abgehakt. Er blickt jetzt nach vorn, will die Wintermonate nutzen zur Vorbereitung auf die WM-Saison 2022. Michael hat einige neue junge Pferde im Stall, die intensiv gearbeitet werden müssen. Höhepunkt des nächsten Jahres soll die WM in Pratoni del Vivaro bei Rom sein. In letzter Zeit hat Michael einige seiner jungen Springpferde abgegeben. FischerChelsea bleibt sein Toppferd fürs Springen. Weitere Springpferde, um oben mitzureiten, werden wir aber nicht anschaffen.“

Meine Rückblende ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Michael Jung und Faye Füllgraebe haben 2021 geheiratet und ihr fröhliches Söhnchen Liu in die Welt gesetzt. Das ist das Wichtigste! Im Mai gab’s den schönen Sieg in der Mannheimer Badenia, dem alten Frühjahrsklassiker. Dazu das deutsche Berufsreiterchampionat in Marbach, später die deutsche Meisterschaft in Luhmühlen. Bei den Olympischen Spielen hatten Michael Jung und sein Chipmunk ein Riesenpech: Am verdammten Hindernis 11 waren beide einen Moment zu dicht, der Pin löste aus, 11 Strafpunkte und weg war die Medaillenchance; am Ende Platz sechs.

Bei der EM in Avenches sollte es auch nicht sein. Der Holsteiner FischerWild Wave schlug sich prächtig, blieb im Gelände und im Parcours fehlerlos; schade, dass ihn der Schweizer Juror in der Dressur unverdient nach unten punktete. Am Ende blieb nur der undankbare Platz vier – 0,3 Punkte fehlten Michael Jung zu Bronze.

FischerRocana geht aus dem Sport

Fast schon vergessen – Vater und Sohn Jung haben in diesem Jahr eine gewiss nicht leichte, sportlich aber vernünftige Entscheidung getroffen: FischerRocana, 16 Jahre alt, eine Tochter des Marbacher Gestütshengstes Ituango xx, geht in die Zucht. Sie war Weltmeisterin der jungen Buschpferde, 2014 in Caen Vize-Weltmeisterin im Einzel und Weltmeisterin mit dem deutschen Team. 2017 gab’s für sie und Michael Jung EM-Silber.

Stichwort Kentucky: Dreimal hintereinander, nämlich 2015, 2016 und 2017, siegte Rocana in überragender Form beim Five-Day-Event. Seither haben die US-Fans Michael Jung ins Herz geschlossen. Jung bleibt der einzige deutsche Reiter, der in Kentucky gewinnen konnte. Dass er – Stand heute – Ende April 2022 wieder einmal dort satteln wird, hören die Amerikaner gewiss sehr gerne. Ob’s die Konkurrenz so gerne hört, darf man bezweifeln.

Kurzer Blick auf die aktuelle Weltrangliste vom 30. November. Michael Jung auf Rang sechs bleibt bester deutscher Reiter. Olympiasiegerin Julia Krajewski belegt Platz 22, Ingrid Klimke Rang 28 und Christoph Wahler Platz 43. Nur vier Deutsche unter den besten 50 Buschreitern der Welt – das wird sich 2022 hoffentlich bessern.

Nicht zu vergessen: Rund zweihundert Freunde und Weggefährten wollten Hans Melzer in Luhmühlen einen gebührenden Abschied aus dem Amt des Bundestrainers bereiten. Doch Corona hat’s leider verhindert. Immerhin haben, über Tage verteilt, einige Aktive ihm ihre Aufwartung gemacht. Womöglich bietet sich ja später mal die Chance das nachzuholen, was in diesem vermaledeiten Herbst nicht möglich war. Mit Peter Thomsen beginnt zum Jahreswechsel eine neue Ära. Dem neuen Bundestrainer wünschen alle eine glückliche Hand!

Historisches Foto mit aktuellem Bezug. London 2012: Die „Gold-Reiter“ Peter Thomsen, Dirk Schrade, Michael Jung, Sandra Auffarth und Ingrid Klimke. Peter Thomsen ist unser neuer Bundestrainer.

Historisches Foto mit aktuellem Bezug. London 2012: Die „Gold-Reiter“ Peter Thomsen, Dirk Schrade, Michael Jung, Sandra Auffarth und Ingrid Klimke. Peter Thomsen ist unser neuer Bundestrainer.