Insgesamt elf EM-Medaillen, darunter sieben in Gold, hängen bei Michael Jung daheim in seiner „Schatzkammer“. Vom 9. bis 13. August geht’s in Haras du Pin, wo Michael 2014 mit Rocana Vize-weltmeister war, mal wieder um Titel und Medaillen. Diese EM 2023 in der Normandie ist das große Saisonziel unserer Buschreiter. Vater Joachim Jung sagte mir heute: „Wir gehen die Dinge verhalten an. Weil wir mit FischerChipmunk aktuell nur ein Pferd für die großen Prüfungen haben, hat Michael auf die neuerliche Reise nach Kentucky verzichtet. Wir möchten kein unnötiges Risiko eingehen.“

Übers Wochenende hat auf dem Weiherhof der Familie Vogg am Ortseingang von Radolfzell die Buschsaison im Südwesten begonnen – die äußeren Bedingungen durchwachsen. Michael Jung, seit Jahren vielfach Sieger auf dieser herrlichen Anlage unweit des Bodensees, sicherte sich auf dem achtjährigen Baden-Württemberger Ignatz, der seiner Frau gehört, die goldene Schleife in der Zwei-Sterne-Prüfung. 25,9 Prozentpunkte aus der Dressur, zwei Punkte aus dem Gelände wegen leichter Zeitüberschreitung, dazu eine Nullrunde im Parcours. Immerhin 530 Euro Siegprämie in die Haushaltskasse.

In der Drei-Sterne-Prüfung ritt Michael Jung den 16-jährigen polnischen Fuchs Banderas mit 19,5 Dressurpunkten an die Spitze, kam mit 21,5 Punkten aus dem Gelände – vor der Verfassung am Sonntag meldete er den Wallach jedoch ab, verzichtete damit auf die Siegchance. Vater Jung dazu: „Banderas ist vergangenes Jahr zu uns gekommen, nachdem Pavel Spisak, sein Reiter, Michaels Freund und Schüler, aus gesundheitlichen Gründen das Reiten praktisch aufgeben musste. Die Besitzer des Pferdes möchten gerne, dass Michael Banderas reitet.“ Nun gehe es um die Frage, ob der Fuchs den Anforderungen gerecht werden könne.

Auch sein zweites Pferd in dieser Drei-Sterne-Prüfung, den Holsteiner FischerWild Wave, zog Michael Jung vor dem Springen, also nach der Verfassung, zurück. Begründung: Der Wallach war lange Zeit verletzt, soll jetzt behutsam in den Sport zurückgeführt werden. Noch ist völlig offen, mit welchen seiner Pferde der Mannschafts-Weltmeister von Pratoni del Vivaro 2022 in einem Monat auf der Schwäbischen Alb antreten wird; dort geht’s bekanntlich um das Championat der Berufsreiter. Michael Jung holte vor einem Jahr in Marbach seinen achten Titel. Zuvor wird er mit seinen Springpferden beim Maimarkt in Mannheim satteln, später in Gorla Minore und Arezzo.

Nicht zu vergessen: In der Zwei-Sterne-Prüfung auf dem Weiherhof standen 99 Starter auf der Liste. Nur 77 kamen in die Wertung. Unter den Eliminierten neun Schweizer Reiter*innen. Julia Krajewski, die Olympiasiegerin von Tokio, nimmt gerne die weite Tour aus Westfalen ans Schwäbische Meer in Kauf, um junge Pferde vorzustellen: Piran SC wurde 16., nachdem er an der Spitze gelegen hatte nach Dressur und Gelände. Sarah Algotsson Ostholt, die 2012 in London Silber gewann hinter Michael Jung und seinem Sam, wurde mit Dinathia 24.

Der verdiente Sieg in der Drei-Sterne-Prüfung mit 66 Startern ging an den Lokalmatador Felix Vogg auf Dao de L’Ocean mit sehr guten 25,7 Punkten; Siegprämie 980 Euro. Hinter Pia Leuwer auf Jard (26,1, 700 Euro) belegte Felix Vogg mit Toppferd Colero auch noch Platz drei (26,9, 560 Euro). Mit im Feld erfahrene internationale Topreiter wie Maxime Livio (Rang vier), Julia Krajewski (Platz sieben) und Sarah Algotsson Ostholt (Rang elf). Schade, dass sich die deutschen Kaderreiter so rar machten. Und: An den Landesmeisterschaften der Junioren und Jungen Reiter beteiligten sich anno 2023 nur jeweils zwei Aktive – in Worten zwei! Mir scheint, dass da irgend etwas nicht stimmt.

Der Saisonaufgalopp am Bodensee ist unverzichtbar, die Familie Vogg und ihr Helferteam haben alle Jahre wieder Komplimente verdient für ihr Engagement. Der verdammte Klimawandel macht auch ihnen mehr und mehr Mühe. Das sah man übers Wochenende auch im fernen Miami Beach, wo es so heftig regnete, dass die Wettbewerbe um einen Tag verschoben werden mussten. Wie heißt es immer so schön: Unser Sport findet nun mal meistens im Freien statt! Wer als Reiter nicht nur gute Pferde unter dem Sattel hat, sondern auch Grips im Hirn, der sollte sich von Zeit zu Zeit mal ehrlich fragen, was er-und-oder-sie eigentlich zum Kampf gegen den Klimawandel beiträgt?