Bei der Deutsche Reiterliche Vereinigung ist ein deutlicher Trend zu selbstkritischer Betrachtung im Zuge der neuerlichen Diskussion über die Grauzone zwischen dem verbotenen Barren und dem erlaubten Touchieren spürbar. Aus Warendorf kommen in diesen Tagen einerseits Informationen über die bis dato öffentlich unbekannte Fachkommission zum Thema Ausbildungsmethoden, andererseits wird die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz im Umgang mit den Pferden aufgeworfen.
In ihrer jüngsten Stellungnahme heißt es unter der Überschrift „Warum gibt es die Kommission?“ im FN-Pressedienst: „Vor 30 Jahren hat die FN infolge der sogenannten Barr-Affäre eine Definition der erlaubten Ausbildungsmethode des Touchierens in ihre Richtlinien aufgenommen. Trotz aller vorhandenen Formulierungen fällt es der FN schwer, zu veranschaulichen und zu vermitteln, wo die Grenze zwischen dem erlaubten Touchieren und dem verbotenen Barren verläuft.
Inzwischen gibt es auch neue Erkenntnisse zum Lernverhalten von Pferden und die Gesellschaft befindet sich im Wandel. Unter anderem wächst die Skepsis gegenüber der Haltung und der Nutzung von Tieren. Im Zusammenhang mit der Anfrage von RTL wurde einmal mehr deutlich, dass auch zulässige Ausbildungsmethoden falsch angewendet werden können, zum Beispiel, wenn sie bei zu jungen Pferden zum Einsatz kommen oder nicht fachkundig durchgeführt werden.
Es ist als offensichtlich an der Zeit, das Touchieren und auch andere Ausbildungsmethoden auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit Blick auf gesellschaftliche Akzeptanz zu begutachten sowie die Richtlinien und Regelwerke der FN, falls nötig, anzupassen. Außerdem hat die FN in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Einberufung runder Tische und Kommissionen zu bestimmten Themen gemacht, etwa bei der Erstellung des Kriterienkatalogs für den Vorbereitungsplatz.“
Die im Januar 2021 einberufene Kommission besteht aus 27 Mitgliedern, darunter Wissenschaftler und Veterinäre, Tierschutzbeauftragte und Juristen, Züchter und Richter, Vertreter der Berufsreiter und Verantwortliche von FN und DOKR, nicht zuletzt die Bundestrainer und die Aktivensprecher sowie die Vorsitzenden der Disziplinausschüsse. Das Ziel dieser Kommission skizziert die FN in einem Satz: „Strittige Ausbildungsmethoden bzw. Hilfsmittel zu überprüfen und, wo nötig, Vorschläge für Änderungen des Regelwerks zu unterbreiten. Mit dem Ergebnis der Kommissionsarbeit zum Thema Touchieren, also einer Empfehlung an die FN-Gremien, ist in den kommenden sechs Wochen zu rechnen.“
Einschränkend weist die FN in ihrer Pressemitteilung auf folgendes hin: „Es ist nicht die Aufgabe der Kommission, die im RTL-Beitrag gezeigten Bilder juristisch zu bewerten und Ordnungsmaßnahmen auszusprechen.“ Die Kommission könne Empfehlungen zur Änderung des Regelwerks formulieren, die dann an die FN-Gremien weitergeleitet werden, also an das Präsidium und den Beirat Sport. Nur diese beiden Gremien könnten Änderungen des Regelwerks auf den Weg bringen und beschließen.
Ich meine, die jetzt gegebenen Informationen und Erläuterungen sind wichtig, um die inneren Abläufe bei der FN und dem DOKR besser zu verstehen. Dass eine Kommission mit 27 Mitgliedern ein eher schwerfälliges Konstrukt ist, liegt auf der Hand – ohne denen, die daran mitwirken, Kompetenz und Sachkunde abzusprechen. Allerdings darf man doch kritisch anmerken, dass die Kommission bereits vor zwei Jahren gegründet wurde – jetzt, nachdem RTL seine damals bereits intern bekannten Videosequenzen öffentlich gemacht hat, gerät die Kommission unter Zeitdruck. So hinkt man faktisch wie sportpolitisch den Ereignissen, den Anschuldigungen und den Anfragen der Medien hinterher.
Nochmal sei’s betont: Die 27-köpfige Kommission besitzt keine Befugnis zu entscheiden, sie kann nur Empfehlungen aussprechen. Ich bin gespannt, wie diese Empfehlungen aussehen, wann sie veröffentlicht werden und ob es etwa eine Abstimmung gibt, deren Votum man erfährt. Gibt’s eventuell sogar, was in der Politik nicht unüblich ist, ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum? Spannende Fragen.
Ich persönlich sehe mich nach dem, was die interessierte Öffentlichkeit bis heute weiß, in meiner Meinung bestärkt: Wenn die entscheidenden Gremien in Warendorf ihre Glaubwürdigkeit und das verspielte Vertrauen zurückgewinnen wollen, muss das Touchieren möglichst rasch verboten werden! Der deutsche Springsport muss seinen Fans wie seinen Gegnern und Kritikern ein klares Signal senden: Wir haben verstanden! Wir sprechen uns eindeutig gegen das verbotene Barren aus! Und wir haben das bis dato erlaubte Touchieren gar nicht nötig!