10 000 Zuschauer auf der Strecke und 7000 Zuschauer im Springstadion – nach zwei Jahren Pause durch die Pandemie ist das traditionsreiche Pfingstturnier im Schlosspark von Wiesbaden-Biebrich zurück auf der internationalen Bühne. Gut so! Allen voran unsere Buschreiter suchten die Chance, nach dem verpatzten Saisonstart in Pratoni del Vivaro bei Rom nun auf heimischem Geläuf wieder „bella figura“ zu machen. Ein Glück, dass wir Julia Krajewski und ihre „Mandy“ haben. Die Olympiasiegerinnen von Tokio glänzten – die WM-Hoffnungen sind zurück! 

Im Pressedienst der FN wird Julia Krajewski, die ihre Stute am Weiherhof in Radolfzell nur zu Trainingszwecken eingesetzt hatte, mit diesen Worten zitiert: „Es war unsere erste richtige Geländerunde seit Tokio. Ich will nicht sagen, man sei angespannt – aber man fragt sich schon, wie geht das jetzt los?“ Ein bisschen mehr geradeaus hätte sie sich gewünscht, gestand Krajewski, denn ihr Pferd sei „schon überrascht gewesen, als es merkte, das geht jetzt hier rechts und links“. Ab Sprung fünf und sechs habe sich dann der Rhythmus eingestellt. Nun, wer den Schlosspark von Wiesbaden kennt, der weiß, dass es dort keine langen Galoppstrecken geben kann – ähnlich wie in London 2012 im Park von Greenwich: Eine Art von Springderby im Schlosspark.

Kleines Aha-Erlebnis bei der Siegerehrung: „Durch die Corona-Jahre ist meine Mandy die vielen Zuschauer gar nicht gewöhnt. Deshalb war diese Siegerehrung für sie eine neue Erfahrung. Ich glaube, sie fand die Kulisse gerade angemessen.“ Julia Krajewski lachte dabei. So kurios sind die Zeiten: Pferde gehen seit zwei Jahren vor leeren Rängen, erst jetzt kehren die Zuschauer so langsam zurück, siehe das Derbyturnier vor einer guten Woche in Hamburg.

Zurück nach Wiesbaden. Michael Jung setzte nach seinem Fünf-Sterne-Erfolg in Lexington mit FischerChipmunk jetzt seinen Iren Highlighter ein, schaffte die einzige Nullrunde aller 26 Starter im Gelände, musste im Parcours einen Abwurf hinnehmen, war am Ende verdienter Zweiter. Der Abstand allerdings recht deutlich: 26,8 für die Siegerin, 31,8 für Michael Jung. Anna Siemer und ihr Butts Avedon, in Pratoni schmählich gescheitert, kamen mit 44,2 Punkten auf Rang sechs ins Ziel. Das reichte, ehrlich gesagt, noch nicht so ganz, um sich zu rehabilitieren.

Nun zu Ingrid Klimke, die denkbar schlecht in die WM-Saison gestartet ist. In Pratoni endete, wie vielfach berichtet, die internationale Karriere ihres 18-jährigen Erfolgspferdes Hale Bob. Auf dem harten Geläuf vor den Toren von Rom zog sich der Wallach einen Sehnenschaden zu – wenige Tage später gab  Ingrid Klimke das bekannt, was man befürchten musste: Ende der Karriere! Und das nach einem Dutzend Jahren an der Weltspitze mit sechs erfolgreichen Championaten. Das hat ein Pferd dieser Klasse eigentlich nicht verdient – aber so ist es nun einmal.

Die Fans der Reitmeisterin aus Münster sind ziemlich traurig, sie selbst muss sich neu motivieren, den Weg zurück an die Weltelite suchen. Im polnischen Baborowko glückte ihr vor Wochen der erste Schritt mit Rang fünf im Vier-Sterne-Event – allerdings mit ihrer alten Schwachstelle: Nach Dressur und Springen auf Rang zwei mit ihrer zehnjährigen Westfalenstute Siena just do it gab’s im Parcours zwei vermeidbare Abwürfe. Das tut weh! In Wiesbaden fehlte Ingrid Klimke notgedrungen, auch bei der Deutschen Meisterschaft in zwei Wochen in Luhmühlen hat sie ihren Start jetzt abgesagt. Ich vermute, dass Ingrid Klimke Ende Juni in der Soers zeigen möchte, dass ihre Stute, obschon international noch nicht so erfahren, das Zeug zum Start bei der WM im September besitzt.

Zurück zu Michael Jung. Seine Pläne für die WM-Saison sind bis dato perfekt aufgegangen. Sein Triumph von Kentucky spricht für sich. In Baborowko ritt er mit dem neunjährigen Kilcandra Ocean Power in der „Vier-Sterne-S“ sein zweites irisches Pferd neben Highlighter, belegte „nur“ Platz zwei – ein Abwurf im Parcours kostete den möglichen Sieg. Jetzt in Wiesbaden sagte Michael Jung: „Es ist hier ein spezieller Kurs, ein bisschen kringelig, aber trotzdem traumhaft.“ Nach seinen Siegen in Kreuth und Marbach mit diesem Pferd soll der Ire auch bei der „Deutschen“ in Luhmühlen antreten.

Michael Jungs Plan ist ganz einfach: Mit drei für die WM qualifizierten Pferden kann er dem September ziemlich entspannt entgegen sehen. Für Julia Krajewski, die allerdings nur ein Pferd zur Verfügung hat, gilt dies fast ebenso. Ich bin wirklich gespannt, wen wir Ende des Monats für Deutschland in Aachen am Start sehen werden – dann müssen Bundestrainer Peter Thomsen und seine Reiter*innen ihre Karten erstmals auf den Tisch legen.