Für die vielen Freunde des Reit- und Fahrsports im deutschen Südwesten endet das alte Jahr mit einer bittersüßen Nachricht – Kaspar Funke, der Ausrichter des Traditionsturniers im Schlosspark zu Donaueschingen, teilt mir am Telefon mit: „Wenn es die aktuelle Corona-Lage zulässt, veranstalten wir vom 11. bis 14. August 2022 das 64. Fürst-Joachim-zu-Fürstenberg-Gedächtnisturnier! Allerdings wird es dabei keine Fahrprüfungen geben!“

Zur Begründung sagt Kaspar Funke:

„Die Zahl der Viererzüge ist in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen. Für ein kleines Feld wäre der Aufwand für die Kombination aus Dressur, Marathonfahrt und Hindernisfahren einfach zu hoch.“

Mein aktueller Eindruck ist es, rundheraus gesagt: Die große Tradition des internationalen Fahrsports im Schlosspark an der Donauquelle ist wahrscheinlich zu Ende! Damit verliert das international beliebte und renommierte Turnier eine seiner drei historischen Säulen. Das ist mehr als schade.

Wir erinnern uns: Im Herbst 1977 gab’s unter den alten Bäumen die erste Europameisterschaft der Viererzüge mit einem bis dato unbekannten Medienecho. Der ungarische Gestütswärter György Bardos, weltbester Wagenlenker jener Jahre, holte sich den Titel mit seinen vier ungarischen Favory-Lipizzanern. Auch das Teamgold ging an die Magyaren. Bronze gab’s für Emil Bernhard Jung, Michael Freund und Fred Freund. Der Fahrsport hatte seinen internationalen Durchbruch geschafft.

Es folgen in den Jahrzehnten danach einige Deutsche Meisterschaften, ja sogar das Deutsche Fahrderby – jedenfalls locken alle Jahre wieder die Wagenlenker viele tausend Zuschauer in den Schlosspark. Der Marathon am Turniersamstag ist für viele Gäste – auch aus Österreich und der nahen Schweiz – quasi ein Muss.

Jetzt der weite Sprung ins Jahr 2019: Zum zweiten Male ist Donaueschingen an seinem 63. Turnier der Austragungsort einer Europameisterschaft der Wagenlenker. Der Niederländer Bart Chardon gewinnt den Titel, der clevere Boyd Exell führt das deutsche Trio mit Anna Sandmann, Georg von Stein und Michael Brauchle zur Goldmedaille.

Ein großer Tag für den internationalen Fahrsport, wenngleich es auch kritische Töne gibt an die Adresse des Ausrichters Kaspar Funke. Der neue Europameister Bart Chardon sagt: „Die Hindernisse waren nicht schön!“ Man habe mehr erwartet. Funke indessen verweist auf die hohen Kosten, die diese EM verursacht hat. Gleichwohl versichert er, dass das Fahren im Turnierprogramm bleiben werde.

Doch 2020 herrscht die Corona-Pandemie, Kaspar Funke muss nicht nur Donaueschingen absagen, sondern auch andere Turniere, die seine Escon Marketing organisiert. Was bleibt, ist ein kleines Dressurturnier auf der schmalen Anlage an der Brigach; nur wenige Zuschauer sind zugelassen.

Immerhin 2021, also im vergangenen August, gibt’s in Donaueschingen wieder Springen und Dressur, aber erneut kein Fahren. Auffällig ist, dass sich die Adelsfamilie Fürstenberg auf „ihrem“ Reitturnier nicht mehr blicken lässt; ihr privates Poloturnier im Schlosspark läuft nicht mehr termingleich mit dem Turnier, sondern seit einigen Jahren schon zu anderer Zeit.

Das Medieninteresse am Traditionsturnier lässt seit Jahren spürbar nach. 2022 müssen auch die Dressurreiter erneut einen Abstrich hinnehmen: Der Nürnberger Burgpokal für die besten Nachwuchspferde hat im Schlosspark leider keine Station mehr.

Quo vadis Fahrsport?

Alle Fahrsportfreunde kennen Reiner Wannenwetsch von der Ostalb. Der FEI-Richter und zu seiner aktiven Zeit erfolgreiche Wagenlenker bei den Viererzügen hat am 10. November ein gelindes Erdbeben ausgelöst mit einem offenen Brief an die FEI, vor allem aber an seine vielen Fahrsportfreunde im In- und Ausland. Ein derart kritisches Papier hat es – meiner Erinnerung nach – in dieser Disziplin noch nie gegeben.

Reiner Wannenwetsch begründet mit klaren Worten, weshalb er sein FEI-Richteramt abgibt – sein Statement und sein persönlicher Schritt zurück ähnelt dem des Dressurmanagers Thomas Baur vor wenigen Wochen. Und es bestätigt im Prinzip die Aussagen von Kaspar Funke, der dem Fahrsport in Donaueschingen wahrscheinlich ein Ende setzen wird.

Ich zitiere einige Absätze aus dem Schreiben von Reiner Wannenwetsch:

„Ist unser Produkt am Markt überhaupt noch gefragt? Oder produzieren wir ein Auslaufmodell? Verlangt der Besucher unserer Veranstaltungen noch mehr Champagner und noch spektakulärere Bilder, noch mehr Risikobereitschaft und gewagte Stunts, noch kürzere und aus dem Reitsport abgeleitete Dressurlektionen? Legt er überhaupt noch Wert auf eine solide Ausbildung von Pferden und Fahrern?

Apropos Pferde. Reduzieren sich nicht momentan die vielen unterschiedlichen Rassen auf lediglich drei Standardtypen:

Die nervlich vollkommen durchgeknallten Ballerinas, die vermutlich zukünftig ihre zirzensisch eingeübten Lektionen nur noch auf speziell vorbereiteten Ebbe-Flut-Plätzen präsentieren können, dies aber nur an den Leinen von wenigen, begnadeten Virtuosen? Dann die scheinbar gegen alle Einflüsse resistenten und gefühllosen Marathonracer, und zu guter Letzt die Indoor-Rennmäuse, denen ja nicht selten totale Gehirn- und Gehörlosigkeit nachgesagt wird.

Ach ja, und noch eins: Was würden denn die Pferde zu der ganzen Sache sagen, wenn wir denn ihre Sprache verstehen könnten? Würden sie gar meine Generation als Tierquäler bezeichnen?“

Reiner Wannenwetsch erinnert an seine aktive Zeit und schreibt: „Während der stundenlangen Trainingsfahrten gab es damals nichts Besseres zu tun, als sich mit seinen Pferden zu beschäftigen und sich mit ihnen zu unterhalten – Smartphones gab’s damals nämlich noch nicht. Unsere Pferde waren wirklich entsprechend trainiert, kamen nach mehr als 25 Kilometern oft trocken zum Start der Phase E. Kaum vorstellbar, wenn man heute am Start B steht, aber es war wirklich so.“

Alles in allem. Die bittere persönliche Bilanz des passionierten Gespannfahrers Reiner Wannenwetsch lautet, wenn ich ihn recht verstehe: Das ist nicht mehr mein Sport! Viel zu viel geschieht auf Kosten der Pferde! Ich möchte einfach unsere Fahrkultur leben. Deshalb habe er die FEI darüber informiert, dass er sein Richteramt zum Jahresende 2021 aufgibt.

Deutliche Worte und ein harter Schlag für den internationalen Fahrsport. Ein Echo auf den Rückzug von Reiner Wannenwetsch gibt es bis dato noch nicht. Bleibt zu hoffen, dass das Fahrerlager zu einer selbstkritischen Debatte bereit und fähig ist. Beides gilt es in nächster Zeit zu diskutieren: Die Kritik von Reiner Wannenwetsch sowie die Absage von Kaspar Funke an den Fahrsport im Schlosspark an der Donauquelle.