Gleich im ersten Satz sag‘ ich es frank und frei: Ich war, ich bin und ich bleibe ein Fan der „World Equestrian Games“, also der Weltreiterspiele, kurz WEG genannt. In der Ägide von Prinzessin Anne als Präsidentin der FEI, also gegen Ende der 80er Jahre, wurde diese zündende Idee kreiert und 1990 in Stockholm erstmals verwirklicht: Alle vier Jahre, genau zwischen den Olympischen Spielen, sollte ein Ort alle Weltmeisterschaften im Pferdesport ausrichten, die olympischen und die nicht olympischen. Schade, dass es demnächst im dänischen Herning keine (r)echten WEG mehr gibt.

Mehr als 30 Jahre ist es nun her – trotzdem werden sich gewiss viele meiner Leser*innen, besonders die älteren, noch recht gut erinnern. Im alten Olympiastadion von Stockholm, wo anno 1956 Hans Günter Winkler auf Halla Sportgeschichte geschrieben hatte, organisierten die Schweden unter dem Volvo-Chef Peer Gyllenhammer die allerersten Weltreiterspiele. Für mich sind sie bis heute die schönsten, weil alles für uns neu war, weil alles ein Experiment war, weil der weltweite Sport mit den Pferden zum ersten Male die Chance bekam, sich vor der Weltpresse und Zehntausenden von Besuchern zu präsentieren. Dass es am Ende ein Defizit in Millionenhöhe gab, störte damals (fast) niemanden. Bei einer Premiere  hatte man damit gerechnet.

1990 in Stockholm gewann der französische Pferdezüchter Eric Navet auf Quito de Baussy den Titel im Springen, Nicole Uphoff mit Rembrandt den in der Dressur. „Unser“ Team gewann den Dressurtitel. Die Springreiter sahen sich heftiger Kritik ausgesetzt, denn der „Barr-Skandal um Paul Schockemöhle war nur wenige Wochen zuvor öffentlich geworden. Otto Becker auf Schockemöhles Pamina wurde Vierter.

1994 in Den Haag, der Hauptstadt der Niederlande, verliefen die zweiten Weltreiterspiele recht kurios. Im grünen Stadtpark veranstaltet, sah man in der ganzen Stadt kein einziges Plakat. Den deutschen Aktiven war das völlig schnuppe: Sieben Titel, viermal Silber und fünfmal Bronze! Franke Sloothaak, bekanntlich ein gebürtiger Holländer, gewann im Stechen mit Pferdewechsel den Titel, Isabell Werth ebenfalls, dazu Michael Freund, der knitze Wagenlenker, Teamgold in Springen und Dressur ging auch nach Deutschlad, Tanja Benedetto als Volti-Weltmeisterin nicht zu vergessen. Wenn ich mich recht entsinne, musste der niederländische FN-Präsident angesichts des Defizits am Ende seinen Hut nehmen.

1998 sind wir, so sag‘ ich’s mal salopp, fröhlich zu den WEG nach Rom gefahren. In der ewigen Stadt holte sich Rodrigo Pessoa auf Llianos den WM-Titel, Bronze für Franke Sloothaak. Auf dem Viereck ritt einmal mehr Isabell Werth ganz vorne. Nadia Zülow, heute Frau Ehning, holte Volti-Gold. Auch die Team-WM im Parcours und auf dem Viereck ging nach Deutschland. Fast hätte ein kapitaler Wolkenbruch zu Beginn die Titelkämpfe ertränkt – gottlob nur fast. Herbert Meyer, damals Bundestrainer, sagte offen, was damals auffällig war: „Wir haben verdient den Titel gewonnen, aber feiern können wir nicht!“ Stimmt. Der Abend im Reiterhotel war stinklangweilig.

2002 im heißen Andalusien machten die Spanier tolle Games. Die ländlichen Reitergruppen aus der Region bleiben mir unvergessen. Auch Ludger Beerbaum, der mit seiner Gladdys in einen Oxer stürzte, der mit Zitrusbäumen geschmückt war – vielleicht waren es auch Orangenbäumchen, das weiß ich nicht mehr so genau. Und eines morgens, auch unvergesslich, konnte das früh angesetzte Springen nur verspätet beginnen, weil dichter Nebel den Turnierplatz einnahm. Die legendären Sherry-Barone von Jerez de la Frontera haben wohl den ganzen Spaß bezahlt – von einem Defizit hörte man jedenfalls nix. Kurz und knapp: Nadine Capellman und Farbenfroh siegten auf dem Viereck, der Ire Dermot Lennon im Parcours. Und wieder Nadia Zülow.

2006 zeigten wir famosen Deutschen der hippologischen Welt mal, wie man WEG erfolgreich ausrichtet. Unterm Strich, so heißt es bis heute, seien die Spiele in der Soers die einzigen gewesen, bei denen man schwarze Zahlen geschrieben habe. Kürzlich sagte Frank Kemperman, der Macher, bei seinem Abschied von Aachen nach 29 Jahren Turnierchef: „Die Spiele 2006 haben mir viele graue Haare bereitet.!“ Aachens großer Vorteil: Die kompakte Anlage und die vielen Helfer, die wussten, wo man anpacken muss. Jos Lansink und sein Cumano wurden Weltmeister, ebenso Isabell Werth und ihr Satchmo. WM-Titel für Deutschland gab’s auch in der Vielseitigkeit, im Fahren und im Voltigieren. Und jede Menge Zuschauer.

2010 gingen die Weltreiterspiele erstmals in die USA: Lexington/Kentucky! Edward Gal und sein Totilas beherrschten die Schlagzeilen: dreimal Gold auf dem Viereck! Der sympathische Philippe Le Jeune holte im Pferdewechsel den Titel, gemanagt von Rodrigo Pessoa. Und Otto Becker, gerade erst Bundestrainer geworden, glänzte mit seiner Equipe, holte den Titel. Michael Jung, noch weithin unbekannt, siegte auf seinem Sam in der Vielseitigkeit. Zum ersten Male waren die Reiter*innen mit Handicap mit dabei. Und die US-Cowboys ließen der Konkurrenz im Reining keine Chance.

2014 begann in der Normandie leider der Niedergang der WEG. Die Franzosen, nicht bereit, sich von außerhalb Hilfe zu holen, machten im schönen Caen keine gute Figur. Im nüchternen Fußballstadion gab’s quasi nichts zu essen und trinken für die Besucher. Die Marathonstrecke der Viererzüge musste gesperrt werden, weil weitaus mehr Zuschauer kamen als vom Ausrichter erwartet. Peinlich. Die Stimmung ließ zu wünschen übrig. Erst als Jeroen Dubbeldam den Spring-Titel holte, sprang der Funke über. Die Niederländer holten den Teamtitel. Sandra Auffarth siegte im Busch mit ihrem „Wolle“, einem Fuchs aus der französischen Zucht; das gefiel den Gastgebern sehr. Aber auch in Caen blieb ein Defizit, das man dezent unter der Decke hielt. Der Landwirtschaftskonzern Alltech hatte wohl tief in die Tasche gegriffen.

2018 ging’s nach der Absage aus Montreal nach Tryon/North Carolina. Es sollte der Werbeknaller für das neue Equestrian Center in der kleinen Gemeinde Mill Spring werden. Mark Belissimo, ein typischer Selfmademan, wollte die ganze Sache stemmen – setzte sie aber leider in den Sand. Der Distanzritt musste abgeblasen werden, weil die Organisation heillos überfordert war und sich das Chaos im Morgengrauen nicht mehr beherrschen ließ. Den WM-Titel gab’s für Isabell Werth & Co., den Einzeltitel im Spezial für sie. Leider wurde die Kür abgesagt, weil man einen Hurrikan fürchtete – der dann allerdings einen Bogen um Tryon herum machte. Simone Blum und ihre Alice holten sensationell den Einzeltitel – eine unvergessliche Sternstunde. Schade, dass man vor dieser WM den spannenden Pferdewechsel im Finale abgeschafft hatte. Später hörte man, dass die Veranstaltung vor dem Abbruch stand, weil das Geld nicht reichte. Die FEI soll rettend eingegriffen haben.

Alles in allem. Ob Mark Belissimo der Totengräber der WEG ist, sei dahingestellt. Jedenfalls hat die – wie ich finde – nach wie vor gute Idee der Weltreiterspiele den Praxistest nicht bestanden. Die Westernreiter, lange dabei, wurden mittlerweile von der FEI ausgeschlossen, weil sie nicht bereit sind, sich vernünftigen Regeln zum Schutz der Pferde zu unterwerfen. Auch der Distanzsport hat sich auf dieser Weltbühne selbst diskreditiert, man denke nur an 2010 als sich Scheich Maktoum, der Ehemann von Prinzessin Haya, skandalös verhielt, seinen Trainer zur Siegerehrung schickte, der sich mit der Silbermedaille seines Herrschers tatsächlich auf das Treppchen stellte – ein einmaliger Fauxpas!

Und heute, 2022? In gut einer Woche sieht sich die Reiterwelt in Herning. Dort gibt’s Springen und Dressur, dazu Voltigieren und die Dressur für die Behinderten. Häufig höre und lese ich in den letzten Tagen den Begriff „Weltreiterspiele“. Nein, liebe Freunde, bei allem Verständnis: Die WEG gibt’s leider nicht mehr. Diese tolle Idee ist an denen gescheitert, die sie nicht ernst genommen haben und die im Grunde nur ihren eigenen Vorteil im Auge hatten.

Wir sehen uns in Herning!