Erst seit wenigen Stunden gibt es im Internet dieses Statement von Charlotte Dujardin, der zweimaligen Goldmedaillengewinnerin in der olympischen Dressur. Der übersetzte Wortlaut: „Es ist ein Video von vor vier Jahren aufgetaucht, das zeigt, wie ich während einer Trainingseinheit eine Fehleinschätzung mache. Es ist verständlich, dass die FEI den Vorfall untersucht. Ich habe beschlossen, mich von allen Wettkämpfen – einschließlich der Olympischen Spiele – zurückzuziehen, solange dieser Prozess läuft.“ Anscheinend zeigt das jetzt aufgetauchte Video, wie Charlotte Dujardin als Trainerin einem Pferd in der Piaffe mit einem Schlauch gegen die Beine schlägt.

Drei Tage vor dem Beginn der olympischen Reiterspiele mit der Verfassungsprüfung bei den Buschreitern am Freitag hat die internationale Reiterei einen Schock – womöglich einen neuen Skandal in Sachen Tierquälerei. Die Details sind noch weithin unklar. Charlotte Dujardin selbst hat die Vorwürfe gegen sich via Internet öffentlich gemacht und ihre Konsequenzen gezogen.

Die 39-Jährige sollte neben Littie Fry und Carl Hester, Dujardins Trainer, in einer Woche in den olympischen Wettkampf auf dem Dressurviereck starten. Daraus wird nun nichts. Dujardin und Fry galten als härteste Konkurrentinnen von Jessica von Bredow-Werndl, der Olympiasiegerin von Tokio 2012. Zur Stunde ist noch völlig unklar, wer anstelle von Charlotte Dujardin ins britische Team nachrückt.

Zitat Dujardin: „Was passiert ist, war völlig untypisch und spiegelt nicht die Art und Weise wider, wie ich meine Pferde ausbilde oder meine Schüler trainiere. Aber es gibt keine Entschuldigung. Ich schäme mich zutiefst und hätte in diesem Moment ein besseres Beispiel geben müssen. Für mein Verhalten entschuldige ich mich aufrichtig. Ich bin am Boden zerstört darüber, dass ich alle im Stich gelassen habe, einschließlich des Teams, der Fans und der Sponsoren.“

Mein erster Eindruck: Vier Jahre lang hat das entlarvende Video irgendwo gelegen – jetzt, zielgenau im Vorfeld der Spiele von Paris, ist es öffentlich gemacht worden. Das kann man unfair finden oder auch nicht. Die kritische Frage, weshalb man derlei Beweise so lange zurückhält, liegt nahe. Besser wäre es, solche heimlich gedrehten Filme sofort öffentlich zu machen. Aber wie auch immer: Die Fälle häufen sich, in denen man mit versteckter Kamera die Trainingsarbeit von Spitzenreitern aufzeichnet, um sie später, beim passenden Augenblick, öffentlich zu machen.

Also wiederhole ich, was ich bei früherer Gelegenheit angesprochen habe: Rüde Methoden bleiben im heutigen Zeitalter der digitalen Medien nicht unerkannt. Wer glaubt, er könne in seinen eigenen vier Wänden, auf seinem eigenen Reitbetrieb machen, was er will – ein fataler Irrtum. Vermutlich schlummern in mancher Schublade noch viele Streifen ähnlicher Natur.

Kein Zweifel, die britische Reiterei steht vor einem Desaster! Nur gut, dass sich Charlotte Dujardin sofort zu ihrer Verfehlung bekannt hat. Ein Schatten fällt dabei auch auf ihren langjährigen Trainer und Entdecker Carl Hester. Die FEI wird ihn bestimmt vorladen, um zu hören, wie er diesen Fehltritt seiner Schülerin einschätzt. Wird er in dieser Situation Mitglied des britischen Teams bleiben können oder ebenfalls auf Olympia verzichten müssen? Die nächsten Tage bis zum Beginn der Dressurwettkämpfe in der kommenden Woche  bergen noch mancherlei Überraschung. Der erste Schatten auf die Reitwettbewerbe vor dem Schloss von Versailles.