Die besten Geschichten schreibt der Sport selbst. Christian Kukuk aus dem Stall von Ludger Beerbaum, 34 Jahre alt, und der 14-jährige Westfalenschimmel Checker, sind die Olympiasieger im Springreiten 2024! Im Stechen um die Medaillen nach einem der schwersten Parcours in der olympischen Geschichte blieb Christian mit seinem Pferd fehlerfrei in 38,34 Sekunden. Steve Guerdat, der Olympiasieger von London 2012, musste auf seiner Stute Dynamix de Belheme einen Abwurf hinnehmen. Seine Zeit: 38,38 Sekunden. Silber! Bronze für den Niederländer Maikel van der Vleuten auf Beauville Z mit einem Abwurf und 39,12 Sekunden.
Kein Zweifel, ganz Reiterdeutschland steht Kopf! Das Abschneiden unserer Springreiter bei diesen Spielen von Paris ließ durchaus einige Wünsche offen. Im Teamspringen nur Platz fünf nach vermeidbaren Fehlern. Gestern dann, in der Qualifikation zum heutigen Finale, wieder Abwürfe: Richard Vogel qualifizierte sich nicht fürs Finale, Philipp Weishaupt nur als 30. und letzter Reiter. Eine Zitterpartie.
Heute, kurz nach 10 Uhr, als Zweiter des Feldes der dreißig Pferde, sah man einen motivierten Philipp Weishaupt mit seinen Zineday: Trotzdem wieder ein Abwurf und ein Zeitfehler. Schade. Als siebter Reiter Christian Kukuk: Von Anfang an ein völlig anderes Bild als an den Vortagen: Kräftig nach vorne galoppiert, kein Rückwärtsreiten wie manchmal bei ihm – als wollte er den 15 000 im ausverkauften Stadion von Versailles sagen: Heute wird mein Tag! Heute setz‘ ich alles auf eine Karte! Heute zeig‘ ich’s allen, die mich für einen Zögerer und Zauderer halten!“ Und siehe da: Fehlerlos in 82,29 Sekunden! Die erste Nullrunde des Tages!
Wenig später glückte dem Niederländer Maikel van der Vleuten, einem schnörkellosen Profi wie er im Buche steht, auf dem Wallach Beauville Z (also von Zangersheide) die zweite Nullrunde in 82,06 Sekunden. Dritter im Bunde, nach einer Nullrunde in 80,99 Sekunden, also in Bestzeit, für Steve Guerdat auf Dynamix de Belheme, den amtierenden Europameister und Olympiasieger von London 2012.
Reihenweise, so muss man fast sagen, hatten selbst die Weltstars mit diesem Normalparcours ihre liebe Not: Am härtesten traf es Henrik von Eckermann mit seinem King Edward, für viele der Topfavorit. In einer Wende nach rechts brach, so sah es zunächst aus, ein Teil der Zäumung – Henrik stürzte aus dem Sattel. Ausgeschieden! Zu Fuß verließ er die Arena. Ein fast surreales Bild. Das Nähere muss noch genau geprüft werden. Mehr Pech kann man als amtierender Einzel-Weltmeister, als Mannschafts-Olympiasieger von Tokio und Team-Weltmeister von Herning nicht haben.
Im Stechen dann setzte Christian Kukuk als erster die alte Maxime fort: Alles auf Vollgas! Nichts wie vorwärts! Die Konkurrenz schocken, unter Druck setzen! Wenn das Quäntchen Glück dazu kommt – dann kann man sich an einem sonnigen Tag wie heute unsterblich machen. Der Jubel kennt keine Grenzen, als Christian über die Ziellinie galoppiert: Null Fehler in 38,34 Sekunden! Van der Vleuten muss ein „Klötzchen“ hinnehmen in 39,12 Sekunden. Steve Guerdat und seine französischen Stute Dynamix haben gleichfalls einen Abwurf in 38,38 Sekunden.
Christian Kukuk ist nun Olympiasieger – genauso wie sein Chef Ludger Beerbaum, der 1992 siegte auf Classic Touch, einer Holsteiner Stute. Und er ist der sechste deutsche Olympiasieger nach Kurt Hasse auf Tora 1936 in Berlin, HG Winkler auf Halla 1956 in Stockholm, Alwin Schockemöhle auf Warwick Rex 1976 in Momtreal, Ludger Beerbaum 1992 in Barcelona, Uli Kirchhoff auf Jus de Pommes in Atlanta 1996. Sensationell! Ich ziehe meinen Hut!!!
Aber nicht für alle 30 Finalisten bleibt dieser Dienstag in bester Erinnerung: Platz vier für den französischen Hoffnungsträger Julien Epaillard auf Dubai: Ein Abwurf 79,18 Seekunden! Rang fünf für den Brasilianer Stephan de Freitas: Ein Abwurf in 80,07 Sekunden. Platz sechs für Scott Brash auf Jefferson in 81,23 Sekunden. Rang sieben für Max Kühner auf Elektrik Blue. Ein Abwurf in 81,29 Sekunden.
Christians erster Kommentar: „Checker ist der einzige, der zweimal mit null eingecheckt hat. Deshalb ist unser Sieg mehr als verdient. Das ist ein sehr emotionaler Moment für mich. Ich muss das erst einmal realisieren und sacken lassen. Das ist unfassbar. Paris ist ein spezieller Ort für mich. Ich habe hier besondere Erinnerungen mit meiner Mutter: Sie guckt heute von oben zu. Alle Menschen, die mir nahestehen sind heute hier. Ich bin überglücklich, das heute mit ihnen teilen zu dürfen.“
Und weiter: „Ich habe heute so einen Mix aus kontrolliertem Angriff gefunden. Es waren ja eh nur zwei Nuller. Und zweimal Null zu reiten bei Olympia, das ist so schon eine Herausforderung. Ich hab‘ gedacht, ich übertreibe jetzt nicht, aber ich setze die beiden schon mal richtig unter Druck. Das ist mir eprfekt gelungen. Als die stange bei steve fiel, hab‘ ich auf dem abreiteplatz gestanden und bin erst einmal in die Knie gegangen. weil ch wusste, es ist etwas ganz Unfassbares passiert.Es sind einige Tränen geflossen mit meiner Schwester, doe sofort da war. Ich bin jetzt tatsächlich Olympiasieger. Das ist irgendwie krass. Aber ich freue mich darauf, das irgendwie zu realisieren.“
Bilanz der deutschen Reiter bei den 33. Olympischen Spielen: Einzelgold in der Vielseitigkeit für Michael Jung und Chipmunk, Einzelgold in der Dressur für Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera, Silber für Isabell Werth auf Wendy, dazu Teamgold mit Frederic Wandres. Und heute Einzelgold für Christian Kukuk auf Checker im Einzelspringen. So erfolgreich waren die deutschen Reiter zuletzt 1936 in Berlin – den Spielen, die die Nationalsozialisten für ihre menschenverachtende Propaganda missbraucht haben.
Nochmal Christan Kukuk: „Es ist nur wenigen Menschen vergönnt, Olympiasieger zu werden. Otto Becker hat dieses Pferd entdeckt und in seinem Stall gehabt. Dass er jetzt Tränen vergossen hat, hab ich noch gar nicht gesehen. Ludger hat den größten Anteil an dieser Goldmedaille. Er hat mir diesen Schimmel zur Verfügung gestellt. Mein Dank geht aber auch an Madeleine Winter-Schulze und an Thomas Müller, denen mein Pferd gehört.“
Jetzt zu Otto Becker, der sagt: „Ende gut, alles gut! Wir hatten erst ein bisschen Pech hier, haben viele gute Runden gesehen, wurden aber nicht belohnt mit dem Treppchen. Jetzt sind wir alle super super happy! Das ganze Team. Christian sowieso. Aber auch alle, die da drumherum sind und geholfen haben. Sie haben es mehr als verdient. Christian hat sich über Jahre hochgearbeitet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er wusste auch immer genau, was er will. Zum Beispiel, dass er Checker will. Ich habe dieses Pferd vierjährig entdeckt, habe ihn fünf Jahre selber gehabt. Christian hat ihn für sich ausgeguckt. Dass es so ausgeht, wussten wir damals natürlich noch nicht.“
Ein guter Schluss ziert alles – Ludger Beerbaum: „Ich war noch niemals so gerührt. Das ist alles so schön, alles! Dass das jetzt so zusammenkommt, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Und dass bei Cecker noch Ratina Z als Großmutter und Comme il faut als Papa mitwirken, der bei uns im Stall zur Welt gekommen ist, kommt noch dazu. Ich kann nicht glücklicher sein. Es ist sensationell!“
Soviel fürs‘ erste. Die nächsten Tage bieten genügend Zeit, diese Reiterspiele 2024 gründlich zu analysieren.