Vor dem Schloss von Versailles läuft der Schlusstag der olympischen Vielseitigkeit. Beim Vet-Check sind alle drei deutschen Pferde anstandslos akzeptiert worden – nicht so zwei der drei japanischen Pferde: Die Medaillenchance ist futsch! Nach dem Gelände lagen sie auf dem Bronzerang. Aber nur Yoshijaki Oiwa ist durchgekommen, Ryuzup Kitajima zog seinen Cekatinka zurück. Nun kommt der Ersatzmann zum Einsatz, was allerdings 20 Strafpunkte obendrauf bedeutet. Für das deutsche Team lieferte Christoph Wahler vor kurzem eine Nullrunde. Sein Ausscheiden kostete 200 Strafpunkte und die Medaillenchance.
Mit gemischten Gefühlen, die den Geländetag geprägt hatten, schloss Bundestrainer Peter Thomsen am Abend mit folgenden Worten: „Es ging ja super an. Julia und Nickel hatten eine tolle Runde, genau wie geplant. Dann Christoph – auch wieder ein super Anfang. Aber dann ist der Fehler passiert: Carjatan ist mit dem Hinterbein in den Graben geraten. Christoph musste leider den Sattel verlassen. Das heißt, die Mannschaft ist geplatzt: Die 200 Strafpunkte werden uns aus den Medaillen werfen, deshalb kann ich jetzt nicht nur strahlen. Die Medaille ist futsch! Aber Michi und Chipmunk haben hier wie immer brilliert – eine Traumrunde! Chipmunk ist mit gespitzten Ohren über die Hindernisse geflogen. Jetzt wollen wir mal hoffen, dass uns das Glück wieder hold wird.“
Vor einer Stunde, 11 Uhr Ortszeit, begann in Versailles der erste von zwei Parcours an diesem Finaltag. Zunächst geht es um die Mannschaftswertung. Wichtig allerdings: Auch alle Einzelreiter müssen den Kurs absolvieren. Danach wird zusammengezählt: Nur die punktbesten 25 Paare nach Dressur, Gelände und erstem Parcours ziehen ins Finale um die Einzelmedaillen ein!
Michael Jung kann heute aus eigener Kraft Olympiasieger werden und Sportgeschichte schreiben: Er wäre mit dreimal Einzelgold aus London und Rio mit Sam sowie heute mit Chipmunk der erfolgreichste Reiter des modernen Turniersports! Andere, wie etwa Isabell Werth, haben zwar mehr Goldmedaillen – aber eben nicht im Einzel! Der Australier Mark Todd erritt sich in den Achtzigern mit Charisma zweimal Einzelgold hintereinander.
Und noch etwas: Sollte Michael heute Nachmittag gewinnen, hätten die deutschen Buschreiter ihre Dominanz untermauert: Einzel- und Teamgold für Hinrich Romeike auf Marius 2008 in Hongkong, Einzel- und Teamgold für Michael Jung und Sam 2012 in London, Einzelgold für Jung und Sam 2016 in Rio. Schließlich das Einzelgold für Julia Krajewski mit Mandy 2021 in Tokio!
Schön wär’s, wenn heute dieser historische Montag wäre. Und Michal hätte ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk – am Mittwoch wird er 42. Aber leicht wird’s nicht. Zwei dicke Runden stehen bevor – natürlich auch für alle anderen. Und wir wissen, dass Chipmunk immer mal für einen Abwurf gut ist.
Drücken wir also fest die Daumen – ob daheim oder in Versailles! Nach seiner feinen Nullrunde im Parcours mit Carjatan zog Christoph Wahler sein erstes Fazit: „98 Prozent dieser Geschichte, glaube ich, war richtig. Richtig gut – und am Ende ist es doch ein katastrophales Ergebnis! Das ist frustrierend, wenn man sieht, wie Carjatan heute springt. Wie das Springen heute geklappt hat. Da wäre alles möglich gewesen. er war jetzt perfekt vorbereitet, er war topfit. Jetzt zu wissen, dass man heute eventuell noch eine zweite springrunde hätte drehen können – und, und, und. Das ist jetzt einfach ein bisschen fies gerade!“
Und weiter: „Es ist total ein versöhnliches Ende, vor allem, zu merken wie gut er drauf ist. das ist ja das Wichtigste. er hat es mega weggesteckt. er weiß überhaupt nicht, was los war. Außer, dass es ein relativ kurzes Gelände war. Er ist heute wirklich überragend gesprungen. Das war ja keine Eintagsfliege. Er hat mir dasselbe Gefühl gegeben wie immer. Und das macht schon richtig Spaß.“