Zehntausende haben seit gestern das Video angeklickt, auf dem  man rund eine Minute lang der berühmten Charlotte Dujardin dabei zusehen muss, wie sie mit einer Longierpeitsche ein Pferd traktiert, auf dem eine junge Frau sitzt. Das alles im Galopp. Weshalb die Olympiasiegerin von London und Rio derart frustriert und aggressiv vorgeht – man kann nur mit dem Kopf schütteln! Und zugleich werde ich wütend: Wieder steht der Reitsport am Pranger. Wieder durch eine prominente und höchst erfolgreiche Reiterin. Ich hab’s vor kurzem schon mal geschrieben: Der Dressursport schafft sich ab! 

Zunächst mal zu den jetzt vorliegenden Fakten: Als noch niemand das Video kannte, hieß es zunächst, Charlotte Dujardin habe ein Pferd beim Piaffen-Training mit der Peitsche traktiert. Das war offensichtlich falsch. Weiter hieß es, das Video sei vier Jahre alt. Augenscheinlich auch falsch. Jetzt ist von zwei bis zweieinhalb Jahren die Rede. Außerdem wissen wir nun, dass die britische FN ihren Topstar zunächst gesperrt hat für die Dauer des Prozesse. Wie lange das sein wird, ist, Stand heute, völlig offen.

Monica Theodorescu, die Bundestrainerin, hat sich gegenüber dem Sport-Informationsdienst (sid) so geäußert: „Die Situation ist sehr negativ und bedrückend für unseren Sport.“ Kommenden Sonntag beginnen die Dressurwettkämpfe vor dem Schloss von Versailles mit der Verfassung. Alle Teams stecken mitten in den Vorbereitungen. Die zeitlich gezielte Veröffentlichung des Videos durch einen niederländischen Rechtsanwalt ist ein beabsichtigt harter Schlag gegen die Dressurreiterei.

Dass sich die junge Frau, von der das Handyvideo mutmaßlich stammt, hinter ihrem Anwalt verbirgt – für mich kein Wunder, wenn man tagtäglich sieht, wie viele sich in der Anonymität der sogenannten sozialen Medien verstecken.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Was Charlotte Dujardin da macht, Peitschenhiebe aufs Pferd und in die Luft bei der Galopparbeit – ich versteh‘ nicht, was das bringen soll, außer einem verängstigten Pferd und einer verängstigten Reiterin obendrauf. Wer mich kennt, der weiß, dass ich Ende der sechziger Jahre am Dressurstall Eichelnkamp von Reitmeister Robert Schmidke in Hilden eine Bereiterlehre gemacht habe; Prüfungsjahrgang 1969.

An unserem Stall gab’s übrigens keine Schlaufzügel und auch keine Galopparbeit mit der Longierpeitsche! Wenn’s um das Piaffieren ging, wurde die Touchierpeitsche genommen – für den Takt und nicht zur Strafe!

Wie man hört, hat unser Dressurteam dieser Tage einen Medientrainer zu Gast gehabt. Da wäre ich gerne Mäuschen gewesen unterm Tisch. Es sei, so berichtet Equipechef Klaus Roeser via Internet, sehr interessant und hilfreich gewesen. Meine kleine Frage: Brauchen Topreiter wie etwa Isabell Werth, Jessica von Bredow-Werndl, Frederic Wandres oder auch Monica Theodoresu wirklich noch Medientrainer? Wie wär’s denn, man würde sich mal außerhalb der Tagesordnung (sprich: außerhalb des Turnieralltags) mit uns Medienenleuten zusammensetzen.

Zugegeben, ich wüsste gerne, was man im deutschen Team von der causa Dujardin hält. Vermutlich wird man dieses Thema angesichts der Vorbereitungen auf den Umzug des Teams nach Paris erst einmal nach hinten schieben. Dafür hab‘ ich Verständnis. Aber wenn die Reiterspiele von Versailles vorüber sind, nützt kein Medientrainer mehr etwas. Dann muss kritisch-selbstkritisch diskutiert, meinetwegen auch gestritten und am Ende klare Kante gezeigt werden.

Die Dressurreiterei darf sich nicht länger von einem Skandal irgendwie zum nächsten hangeln. Der Versuch, immer wieder mit Ach und Krach die Kurve zu kriegen – das führt uns dem Abgrund immer näher.  Durch das kreuzdumme Verhalten von Charlotte Dujardin startet der Pferdesport mit einem dicken Skandal in diese olympischen Reiterspiele.

Die Zahl der Feinde unseres Sports ist stark angewachsen. Wenn’s keine Umkehr gibt, fliegen nicht nur die Pferde der sogenannten modernen Fünfkämpfer (völlig zurecht) aus dem olympischen Programm, sondern auch Dressur, Springen und Vielseitigkeit. Soll sich dann nur ja keiner dumm stellen und sagen, er sei überrascht.