Wer mich kennt und meinen Blog liest, der weis, dass ich die Geschichte des Pferdesports für besonders interessant und wichtig halte, um den aktuellen Sport von heute besser zu verstehen. Ohne Herkunft keine Zukunft! Deshalb diese Zahlen: Seit 1912, seitdem das Reiten zum olympischen Programm gehört, haben deutsche Reiter*innen 44mal Gold, 24mal Silber und 27mal Bronze gewonnen. Insgesamt 95 Medaillen. Wir sind mit Abstand die Reiternation Nummer eins. Wer sich hinter dieser magischen Zahl verbirgt, wer die erfolgreichen Damen und Herren waren bzw. sind – darauf gehe ich in diesen letzten Tagen vor dem Beginn der Spiele ein.
Vielseitigkeit: Dieser Tage hab‘ ich darauf hingewiesen, dass die Buschreiter den Anfang machen bei diesen olympischen Reiterspielen 2024 im Park von Versailles. Am kommenden Freitag die erste Verfassung, am Samstag die Dressur, am Sonntag der Geländeritt und am Montag die Parcours für die Teamwertung und für die Einzelwertung.
Wie gesagt, 1912, bei den Spielen in Stockholm, gab’s zum ersten Male die sogenannte Military. Der Schwede Axel Nordlander auf Lady Artist holte sich das erste Einzelgold. Silber gab’s in der Mannschaft für Eduard von Lütcken auf Blue Boy, Carl von Moers auf May-Queen, Harry von Rochow auf Idealist und Richard von Schaesberg-Tannheim auf Grundsee. Sie ritten für das Deutsche Reich. Sie und ihre Namen sagen uns heute nichts mehr. Eigentlich schade.
1936, bei den Spielen von Berlin, die die Nationalsozialisten schamlos nutzten für ihre politische Propaganda, gewann der später legendäre Ludwig von Stubbendorf das Einzelgold auf Nurmi – der Name eines ebenso legendären Läufers jener Zeit. Auch die Mannschaft des Deutschen Reiches siegte, bestehend aus Stubbendorf, Rudolf Lippert auf Fasan und Konrad von Wangenheim auf Kurfürst. Stubbendorf war Jahrgang 1906 – 1941 fiel der Offizier im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg nannte man die leichtere und mittelschwere Vielseitigkeit mit Dressur, Gelände und Springen „Stubbendorf“. Lang ist’s her.
1952 bei den Olympischen Spielen in Helsinki durften die Deutschen erstmals wieder teilnehmen: Wilhelm Büsing auf Hubertus, Otto Rothe auf Trux von Kamax und Klaus Wagner auf Dachs gewannen Silber hinter den Schweden und vor den Amerikanern. Büsing holte Einzelbronze. 1956 bei den Reiterspielen von Stockholm, wohin man die Reiterei ausgelagert hatte, weil der Transport der Pferde nach Melbourne kaum möglich war, gewann August Lütke-Westhues auf Trux von Kamax die Silbermedaille, Teamsilber ging an Westhues, Otto Rothe auf Sissi und Klaus Wagner auf Prinzeß.
1964 brachte man die Pferde immerhin zu den Spielen nach Tokio: Teambronze für Horst Karsten auf Condora, Fritz Ligges auf Donkosak und Gerhard Schulz auf Balsza. Dazu Einzelbronze für Fritz Ligges, der später zum Springreiten wechselte und 1972 in München Teamgold holte. Eine grandiose Leistung – bis heute unvergessen!
Apropos München 1972: Teambronze für unsere Militaryreiter mit Lutz Gössing auf Chicago, Horst Karsten auf Sioux, Harry Klugmann auf Christopher Robert und Karl Schultz auf Pisco. Jener Karl Schultz ritt 1976 in Bromont (Kanada) sein Pferd Madrigal, gewann Bronze; die Mannschaft mit Schultz, Otto Ammermann auf Volturno, Herbert Blöcker auf Albrant und Helmut Rethemeier auf Pauline gewannen Silber.
1984 bei den Spielen in Los Angeles gab’s Bronze für die deutsche Mannschaft: Claus Erhorn auf Fair Lady, Dietmar Hogrefe auf Foliant, Bettina Overesch (heute Hoy) auf Peacetime und Burkhard Testdorpf auf Freedom. 1988 glückte in Seoul die zweite Goldmedaille nach 1936: Matthias Baumann auf Shamrock, Ralf Ehrenbrink auf Uncle Todd, Claus Erhorn auf Justyn Time und Thies Kaspareit auf Sherry.
1992 in Barcelona ging die Silbermedaille an den inzwischen verstorbenen Herbert Blöcker auf Feine Dame; Bronze holte sich das Team mit Matthias Baumann auf Alabaster, Ralf Ehrenbrink auf Kildare, Cord Mysegaes auf Ricardo und Herbert Blöcker mit seiner feinen Dame.
Die nächsten olympischen Medaillen für die deutschen Buschreiter ließen lang auf sich warten: 2008, die Reiterspiele von Peking wurden nach Hongkong ausgelagert, das Format der alten Military war völlig erneuert, gekürzt und erleichtert, der alte Begriff abgeschafft. Damals begann auf einem Golfplatz außerhalb von Hongkong eine neue, glanzvolle Ära: Einzelgold für Hinrich Romeike auf Marius, auch das Teamgold für Romeike, Ingrid Klimke auf Abraxas, Peter Thomsen auf Ghost of Hamish, Frank Ostholt auf Mr. Medicott, Andreas Dibowski auf Butts Leon.
2012 in London gab’s wieder zweimal Gold: Einzel für Michael Jung auf Sam, im Team mit Peter Thomsen auf Barny, Dirk Schrade auf King Artus, Ingrid Klimke auf Abraxas und Sandra Auffarth mit Opgun Louvo, die auch noch Einzelbronze holte. Großartige Tage für unsere Buschreiter!
2016 in Rio wiederholte Michael Jung auf seinem Sam den Einzelerfolg, gewann sein zweites Einzelgold! Für das Team gab’s Silber: Julia Krajewski auf Samourai, Ingrid Klimke mit Hale Bob, Sandra Auffarth mit Opgun Louvo und eben Michael Jung. 2021 in Tokio dann die Sensation: Gold für Julia Krajewski auf Mandy. Chapeau nochmal!
Alles in allem. Unsere Vielseitigkeitsreiter beherrschen seit 2008 das olympische Terrain. Viermal das Einzelgold seit 2008! Übers kommende Wochenende drücken wir die Daumen, schauen gespannt nach Versailles. Heut‘ in einer Woche, etwa um diese Zeit, werden wir wissen, ob unsere Reiter die Erfolgsgeschichte fortschreiben können. Schön wär’s. Auf einen Tipp verzichte ich gerne. Ich lass mich überraschen…