Unser Bundestrainer sagt: „Es geht ja wieder von vorne los. Die Motivation, die ist ganz schnell wieder da. Weil sie wissen, dass alle gut genug sind und auch im Team-Finale super Leistungen gezeigt haben. Wenn das Quäntchen Glück da ist, gibt es Chancen im Einzel am Dienstag.“ Ich sage es so: „Wenn 74 Pferde kämpfen müssen um nur 30 Startplätze im Einzel-Finale – dann, ja dann gibt’s ein geiles  Hindernisrennen nach dem Motto: Alle mal Vollgas! Nur vorne gibt’s Geld! Nein, ich weiß ja auch, dass bei Olympia unmittelbar keine Kohle zu gewinnen ist. Aber die Parole stimmt trotzdem. Denn man kann Medaillen im Pferdegeschäft in Geld ummüzen. Um 14 Uhr läutet die erste Startglocke. Vier Stunden wird’s wohl dauern. Am Ende sind nur 30 Reiter*innen und ihr Umfeld zufrieden – 45 werden hadern und fluchen.

Blickt man auf die aktuelle Startliste für diese Qualifikation zum olympischen Einzel-Finale 2024, dann sticht sofort eines ins Auge: Sechs Nationaltrainer und/oder Equipechefs haben aus dem Finale um das Teamgold personelle Konzequenzen gezogen. Allen voran die Eidgenosse, bei denen der Haussegen ziemlich schief hängt.

Wir erinnern uns: Pius Schwizer kam mit drei Klötzen ins Ziel, Steve Guerdat mit zweien und Martin Fuchs mit einem. Die Quali für das Finale war futsch. Dabei hatte man gerade dieses Trio auf dem Treppchen vermutet – die drei selbst waren auch ziemlich sicher, dass da was gehen würde. Und dann dieses Debakel. Die Medien in der Schweiz waren „not amused“, ums noch milde auszudrücken. Man hatte in den Vorschauen die Medaille fest eingeplant. Tja, so kann’s gehen.

Wenn ich aufs aktuelle Tableau schaue, dann sehe ich, dass Pius Schwizer heute frei hat – Edourd Schmitz auf Gamin darf antreten. Man habe, so heißt es offiziell, den Tausch vorgenommen, um Edourd eine Chance auf die Zukunft einzuräumen. Klingt plausibel. Es heißt aber im Umkehrschluss: Pius Schwizer, wegen mutmaßlich finanzieller Ungereihmtheiten unter medialem Druck, wird auf absehbare Zeit nicht mehr für sein Land nominiert werden.

Unser Trio muss heute und morgen liefern, so hart sich das auch anhört: Ein Abwurf zu viel, um eine Medaille zu bekommen – das darf nicht mehr vorkommen. Die Springreiter sollten mal auf Michael Jung, Jessica von Bredow-Werndl, Isabell Werth und Frederic Wandres schauen – die reisten mit dreimal Gold und einmal Silber nach Hause. (Dem Bundes-Innenministerium, das die Steuergelder für den Spitzensport locker macht, hat Warendorf, so wörtlich, „drei bis fünf“ Medaillen versprochen.)

Den Auftakt nachher macht ausgerechnet Isabella Russekoff auf „C Vier“, eine Amerikanerin, die für Israel reitet. Wir erinnern uns: Der Holsteiner, von David Will in den Topsport gebracht, wurde ihm über Nacht unter dem Hintern weg an die Mäzene von Cian O’Connor verkauft. Der nutzte das Pferd zur Qualifikation für Paris – als dies sicher war, verkaufte man den „kapitalen Hirsch“ sofort in die USA – frei nach dem Motto: Das Pferd als Ware. Dem uralten Motto unterworfen: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis! Dass sich das vergangene Woche für Cian O’Connor nicht ausgezahlt hat – mein Mitleid mit ihm hält sich in Grenzen.

Schon als vierter Reiter muss heute Henrik von Eckermann mit seinem King Edward auf den Kurs. Mit dem Auftritt seines Trios im Team-Finale kann er nicht zufrieden sein: In Tokio gab’s Gold, bei der WM in Herning auch – Einzel und Mannschaft. Aber bei den Schweden, siehe auch die Dressur, ist in diesen olympischen Tagen der Wurm drin. Doch Henrik, Peder und Rolf-Göran sollten wir nicht vorzeitig abschreiben.

Dann zu Rodrigo Pessoa: Ich bin seit den sechziger Jahren ein Fan der Reiterfamilie Pessoa. Damals, im Jahn-Stadion von Ludwigsburg, habe ich Nelson Pessoa auf seiner Grand Geste zum ersten Male gesehen. Gleich hab‘ ich die Zeitungsausschnitte und die Fotos von ihm gesammelt, auch wenn er Espartaco ritt oder später den mehrfachen Derbysieger Vivaldi. Wenn ich dem 85-Jährigen heute begegne, etwa in Aachen, bin ich jedes Mal berührt von seinem Charisma, seiner Persönlichkeit.

Sohn Rodrigo, der als Ponyreiter erstmals in die Schleyerhalle kam, gehört für mich zu den besten Reitern, die er moderne Springsport je gesehen hat. Im Teamspringen zog er sein Pferd zurück, nachdem es für seine Kollegen schlecht gelaufen war. Ich wünsche ihm, dass er heute mit seinem Major Tom das Klassenziel erreicht und morgen eine gute Rolle spielt.

Mit den abgezockten drei Briten Ben, Scott und Harry ist zu rechnen. Das Teamgold hat sie beflügelt – morgen wollen sie wieder ganz oben stehen. 2012 holten Ben und Scott das erste Gold, damals mit Vater Peter Charles; jetzt reitet Sohn Harry Charles mit für Großbritannien. („Ich hör‘ schon die Hymne: God save our King!“)

Es könnte morgen aber auch die amerikanische Hymne sein: Laura Kraut oder McLain Ward – soviel Erfahrung hat keine andere Mannschaft. Addiert man die Erfahrung, dann kommen gut hundert Jahre zusammen. Sagenhaft! Dann die Franzosen mit ihren unbeschlagenen Pferden. Julien Eppaillard, der das Huflose seit Jahren geradezu predigt! Dann der Reservist Olivier Perreau, der die Bronzemedaille für sein Team gerettet hat. Schließlich Simon Delestre. Vermutlich kommt ihr Präsident morgen wieder nach Versailles. Wenn das keine Motivation ist, was denn dann? Stellen Sie sich mal vor, Scholz und/oder Steinmeier kämen auch!

Später mehr an dieser Stelle. Bleiben Sie zuversichtlich!