Otto Becker gibt sich ahnungslos. Als ich ihn im vergangenen Herbst in der Schleyerhalle fragte, ob er nach Olympia 2024 als Bundestrainer weitermachen würde, antwortete er: „Keine Ahnung. Ich weiß es selbst noch nicht.“ Auf meine neugierige Frage in Aachen wiederholte er sich. Und als mein Kollege Michael Rossmann von der dpa jetzt in Versailles den aktuellen Stand der Dinge wissen wollte, blieb Otto eisern dabei: „Ich weiß es ja selbst noch nicht.“ Hat er Ambitionen, will er vom Verband gebeten werden – oder ist er gar auf dem Absprung?
Zuerst mal eine kurze Info in Sachen Regelkunde: Die Verträge sämtlicher Bundestrainer, also nicht nur der im Reitsport, laufen vor einem historischen Hintergrund: Der Begriff Olympiade markiert ja, streng genommen, den „Zeitraum von vier Jahren“. Locker-lässig nennen wir die Olympischen Spiele gerne einfach Olympiade. Aber das ist falsch!
Wichtig zu wissen: Alle vier Jahre, in den Wochen und Monaten nach den Spielen, müssen die Arbeitsverträge mit den Bundestrainern neu verhandelt und geschlossen werden. Vertragspartner ist das Bundesministerium des Innern. Die Fachverbände können dem geeignete Persönlichkeiten vorschlagen. Meistens werden diese akzeptiert.
Was mich bei Otto Becker ein bissle stutzig macht, ist die Tatsache, dass er etwa heute, einen Tag nach dem Triumpf von Christian Kukuk mit Checker, frei von der Leber weg sagen könnte: „Ja, ich würde gerne weitermachen!“ Dafür hätte jeder großes Verständnis – die Freude bei seinen Reiter*innen und seinen Fans wäre riesig! (Ich schließe mich da ausdrücklich an!)
Andererseits versteh‘ ich auch, dass die Bundestrainer derlei sehr persönliche Fragen nicht auf dem offenen Markt austragen möchten. Vielleicht stellt ja der eine oder andere auch konkrete Bedingungen, ehe er einen neuen Vertrag als Bundestrainer unterzeichnet. Dabei könnte es sich um Fragen der Talentsuche und der Nachwuchsförderung handeln – nur mal so als Beispiel.
Bei Peter Thomsen, erst seit 2022 neuer Bundestrainer und damals Nachfolger von Hans Melzer, bin ich mir ganz sicher: Nach zwei Jahren im Amt, als Team-Weltmeister von Pratoni und als Förderer von Michael Jung, dem vierfachen „Goldjungen von Horb“, wäre es merkwürdig, wenn er nicht im Amt bleiben und die erfolgreiche Arbeit, die er begonnen hat, fortführen wollte.
Der 63-Jährige, 2008 in Hongkong und 2012 in London Olympiasieger mit der Mannschaft, gibt gezielt den Reiterinnen und Reitern der zweiten und dritten Reihe gerne ihre Chancen. Thomsen hat Julia Krajewski ins Team geholt – goldrichtig! Sein nächstes großes Ziel sind die Weltmeisterschaften 2026 in Aachen, also vor heimischem Publikum. Bis Los Angeles, bis zu den nächsten Spielen, sind’s noch vier Jahre. Die vergehen schneller als wir denken.
Was Monica Theodorescu betrifft, seit 2012 Bundestrainerin (damals nach dem plötzlichen Tod von Holger Schmezer berufen) rechne ich ganz fest damit, dass sie weitere vier Jahre im Amt bleiben möchte. Sie hat in diesen zwölf Jahren großartige Arbeit geleistet. Die erfolgreichste Nationaltrainerin in der Welt des Dressursports! 1988 in Seoul, 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta gehörte sie zur deutschen Equipe, die dreimal Gold holte. Diesmal, so denke ich mir, hat sie mit dem hauchdünnen Gewinn des Teamgoldes und des Einzelgoldes für Jessica von Bredow-Werndl ihren größten Erfolg erzielt! Nochmal Chapeau!
Alles in allem: Niemand sollte die Verdienste der Bundestrainer klein reden, selbst wenn die Reiterei im Grunde genommen ja kein Teamsport ist, sondern zumeist ein Wettkampf der Einzelreiter, der mitunter auch hart und mit Ellenbogen geführt wird. Hinter den Kulissen geht’s ab und zu auch mal ruppig daher. Klar, Spitzensportler sind ehrgeizig – anders lässt sich Erfolg nicht erzielen, schon gar nicht über Jahre hinweg.
Siehe Isabell Werth, deren Kredo lautet seit alters her: „Ich gebe niemals auf!“ Nun hat sie sich dazu entschieden, ihre Karriere fortzuführen. Gut so. Auf sie und auf Wendy können wir nicht verzichten. Ich bin sicher, dass Monica dazu ihren Teil beigetragen hat.
Mein Fazit: Es wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis wir sehen, dass über Warendorf weißer Rauch in die Höhe steigt: Habemus Bundestrainer!
Nachsatz: Heute, am 8. August, lese ich im FN-Pressedienst: Dr. Dennis Peiler, der Geschäftsführer des DOKR, wird im Herbst die 26(!) auslaufenden Verträge mit den Bundestrainern der olympischen und der nicht-olympischen Disziplinen verhandeln.