Der weltberühmte Künstler Anselm Kiefer aus Donaueschingen sagt: „Sogenannte Erfolge sind psychologisch der sicherste Weg zu Stagnation und Routine!“ Am Ende der beiden Dressurtage in der Lüneburger Heide fällt mir diese Lebensweisheit ein. Bundestrainer Peter Thomsen geht es ein wenig wie Anselm Kiefer: Er verweist auf die Probleme, die die deutsche Buschreiterei belasten –  zwei Jahre vor den olympischen Spielen in Paris. 

Als alle Pferde der Vier-Sterne-Prüfung, die als Deutsche Meisterschaft ausgeschrieben ist, und auch der Fünf-Sterne-Prüfung wieder im Stall waren, zog der erfahrene Holsteiner Thomsen gegenüber dem FN-Pressedienst ein unerwartet selbstkritisches Zwischenfazit: „Wir haben so wenig deutsche Pferde in der Fünf-Sterne-Prüfung, weil wir am Ende zu wenig Pferde auf diesem Niveau haben. Wir müssen diese Pferde dosiert einsetzen. Das ist natürlich sehr schade. Geplant waren eigentlich vier Pferde,  aber eine Reiterin hat sich verletzt, zwei Pferde hatten eine kleine Auszeit. Und so ist nur ein Paar übrig geblieben. Wir müssen daran arbeiten, dass wir in Deutschland eine dickere Decke an Fünf-Sterne-Pferden bekommen, aber das dauert ein paar Jahre.“

Im Vier-Sterne-Event, der „Meßmer-Trophy“, führt der US-Amerikaner William Coleman, Sieger von Aachen 2021, auf seinem Holsteiner Chin Tonic mit guten 24,6 Punkten vor Michael Jung auf dem Iren Highlighter mit 25,6 und Dirk Schrade auf dem Holsteiner Casino mit 26,4 Punkten. Der sympatische Amerikaner sagte bescheiden: „Mein Pferd ist noch etwas unerfahren vor so einer imponierenden Kulisse.“ Und Michael Jung erklärte: „Das war nicht unsere beste Dressur, aber ich bin trotzdem zufrieden. Ich hatte mir 25 Punkte vorgenommen – das haben wir ja gerade so geschafft.“

Auf die Frage nach ihrem Eindruck der Geländestrecke morgen sagte Coleman: „Mein Pferd ist mutig, aber eben unerfahren. Er ist manchmal ein bisschen schreckhaft. Die Atmosphäre mit den vielen Zuschauern wird für ihn die größte Herausforderung.“ Probleme dieser Art gab’s früher nirgends  – sie sind den vergangenen beiden Corona-Jahren geschuldet. Nur gut, dass heuer wieder Zuschauer nach Luhmühlen und überhaupt kommen dürfen. (Man freut sich schon auf die Soers.)

Michael Jung erklärt zum Geländeritt über die Heide, 3810 Meter lang mit 21 Hindernissen und 35 Sprüngen, Richtzeit 6.41 Minuten: „Sehr schön gebaut. Es gibt ein paar Komplexe, an denen man gut aufpassen muss: Etwa am schmalen Sprung am zweiten Wasser – da müssen alle konzentriert reiten, um keinen Vorbeiläufer zu riskieren.“ Der Geländeritt um die DM beginnt morgen um 13.06 Uhr, der Geländekurs für den Fünf-Sterne-Wettkampf bereits um 9.30 Uhr. Der Fünf-Sterne-Kurs führt über 6400 Meter mit 30 Hindernissen und 45 Sprüngen, Richtzeit 11.14 Minuten.

Hoffen wir mal, dass die Jury in Luhmühlen morgen am Geländetag beide Kurse noch einmal kritisch überdenkt – wenn’s zu heiß werden sollte in der Heide, dann wär’s keine Schande, die Strecken zu verkürzen, das eine oder andere Hindernis herauszunehmen. Denken wir vor allem an eines: Die wirklich ernsten Probleme kann sich die Vielseitigkeit nur immer wieder selbst machen. Die Verantwortung für Trainer, Aktive und die Jury kann ihnen niemand nehmen.

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