Hätten Sie’s gewusst? Wer glaubt, er kenne in Italien jeden Winkel, schließlich fahre man schon seit den goldenen Fünfziger Jahren als Tourist nach Bella Italia – Pustekuchen! Jetzt mal ehrlich: Gorla Minore, im Großraum Mailand gelegen, Provinz Varese, Region Lombardei, 237 Meter über dem Meer, 8300 Einwohner – der berühmteste Sohn des Ortes ist übrigens ein Radrennfahrer. Seit einigen Jahren gibt’s dort das private Equieffe Equestrian Center. Am Wochenende erwarten wir dort den Ersten Preis der Nationen im Rahmen der „Longines EEF-Serie“. 

Seit 2009 besteht die EEF, zu deutsch „European Equestrian Federation“, von der man, offen gestanden, nur wenig hört und also wenig weiß. Sie sieht sich als ein sportpolitisches Gegengewicht zum Weltverband FEI auf der europäischen Ebene. Wer die Exponenten sind und worum genau es geht – in der Öffentlichkeit nimmt man davon keine Notiz. Immerhin, das könnte sich von nun an ändern, denn mit Hilfe des wohl unverzichtbaren Reitsport-Sponsors Longines startet die EEF in Gorla Minore ihre Nationenpreis-Serie 2023.

Elf Equipen treten morgen an, darunter unsere deutsche mit Michael Jung, Manfred Marschall, Pia Reich, Sven Schlüsselburg und Michael Vieweg. Man könnte sagen, es handle sich dabei um eine Mischung aus Schwaben und Badenern, denen Otto Becker sein Vertrauen schenkt. Dieser erste Preis der Nationen – quasi auf der Ebene zwei angesiedelt – bildet den Auftakt zu insgesamt neun Stationen und einem Finale.

Die Orte in der Reihenfolge: Morgen Gorla Minore, danach Mannheim (4.-9. Mai), Aalbord (Dänemark, 25.-28-Mai), Peelbergen (Niederlande, 25.-28.Mai), Athen (Griechenland, 1-4. Juni), Drammen (Norwegen, 1.-4. Juni), Bratislava (Slovakei, 8.-11. Juni), Deauville (Frankreich, 22–25. Juni), Ebreichsdorf (Österreich, 29. Juli/2. August, Semi-Finale), Finale in Warschau (Polen, 14.-17. September). Die Termingleichheit rührt daher, dass diese Nationenpreis geteilt sind in Nord- und Südeuropa. Ob dieses Konzept ein Erfolg wird, muss man abwarten. Das Preisgeld in Gorla Minore liegt bei 158 000 Euro, davon 65 000 Euro als Dotierung für den Nationenpreis; 20 800 Euro für die Sieger, 13 000 Euro für Platz zwei, 10 400 Euro für Platz drei.

Die besten 30 Reiter des Nationenpreises sind automatisch qualifiziert für den Großen Preis am Sonntag, Dotierung 55 000 Euro. In Gorla Minore stehen übrigens 530  feste Boxen, die Arena auf Sand misst üppige 100 mal 120 Meter. Das Veranstaltungsprogramm auf der Internetseite „www.equieffe.it“ reicht bis in den Herbst. Kurzum: Gorla Minore sieht sich neben Arezzo als italienische Drehscheibe für Springsport und Pferdehandel auf internationalem Niveau.

Das gute alte Thema Nationenpreise, also die Länderspiele zu Pferd, beschäftigt in diesen Tagen am Beginn der Grünen Saison auch aus einem anderen, durchaus wichtigen Grund: Unser Weltverband, die FEI, möchte das ihr veraltet erscheinende Konzept des weltweiten Nationscups grundlegend ändern, frei nach dem Motto „Weniger ist mehr!“ Die neue „Longines League of Nations“ soll, prächtig dotiert, auf nurmehr fünf Qualifikationen und ein Finale (wieder in Barcelona) reduziert werden. Stichwort „FEI CSIO“. Topturniere wie etwa der „Tschio“ in Aachen behalten ihren unabhängigen Status, werden kein Teil der neu formierten Serie.

Ganz wichtig zu wissen: Das neue Konzept ist aktuell noch blanke Theorie. In der olympischen Saison 2024 soll es allerdings an den Start gehen. Ob’s besonders schlau ist, ausgerechnet in der olympischen Saison mit einer solchen Neuerung zu starten, möchte ich, offen gesagt, bezweifeln. Alle Föderationen und ihre Nationaltrainer werden doch lieber einen Nationenpreis sausen lassen, um die für Paris in Frage kommenden Pferde zu schonen so gut es eben geht.

Schließlich noch dies: Es wäre wirklich mehr als wünschenswert, wenn die übergroße Zahl der internationalen Topturniere mit ihren verlockenden Geldpreisen auf ein vernünftiges Maß reduziert, die Kräfte konzentriert werden würden. Ob die uralte Regel: Jedes Land darf einmal pro Jahr ein CSIO ausrichten, bestehen bleibt, erscheint mir unwahrscheinlich. Manch ein Turnier wird allerdings seinen Status verlieren. Die Entscheidung, wo 2024 was stattfindet, trifft die FEI. Eines ist sonnenklar: Jan Tops wird an seiner Global Champions Tour keinerlei Abstriche machen. Vielmehr habe ich den Eindruck, als diene die neuformierte Serie nicht zuletzt dem (durchaus vernünftigen) Ziel, den allgemeinen Termindruck für Pferde und Reiter, der von Jahr zu Jahr ansteigt, wenigstens etwas zu lindern. Wenn’s gelänge, soll es mir recht sein.