Aus diesem Stoff sind die Legenden gestrickt. Und Isabell Werth kennt das schon: 2006, im Vorfeld der WM von Aachen, hatte sie den Dressurausschuss dazu gebracht, das Pferd zu wechseln: Satchmo sollte es sein. Der gewann unter dem Jubel der 40 000 den Titel. Anno 2024 scheint es ähnlich: Quantaz musste weichen zugunsten von Wendy du Fontaine. Vor einer halben Stunde gewann sie in der Soers mit 78,085 Prozent verdient den Grand Prix Spezial, Prämie 12 000 Euro. Die Fans feierten sie mit stehenden Ovationen.
Die erste Reaktion von Monica Theodorescu, der Bundestrainerin: „Ich habe den Ritt von Isabell nicht sehen können, aber das Ergebnis hat mich nicht überrascht.“ Soll heißen: Monica und Isabell kennen sich seit Jahrzehnten, haben gemeinsam mit dem deutschen Dressurteam viele Erfolge gefeiert. Und Monica weiß: Wenn sich Isabell etwas vornimmt, wenn sie unter Druck gerät in scheinbar aussichtslose Lagen, dann handelt sie unter dem Motto: Jetzt erst recht!
In diesem aktuellen Fall wollte sie allen Skeptikern und Kritikern beweisen, dass mit ihr zu rechnen ist. Sie wankte, aber sie fiel nicht! Sie hat mit ihrem Klasseritt im Spezial, ohne Fehler und mit Höhepunkten in Piaffe und Passage, mit viel Schwung in der Trabverstärkung und mit dynamischen Wechseltouren im Galopp den bisher besten Ritt auf Wendy gezeigt – ungeachtet eines Fehlers in den Einlerwechseln.
Ihr Sieg in der Soers ist verdient. Ihr Sprung in die Olympiamannschaft nur konsequent. Hut ab! Sie hat dies binnen eines halben Jahres geschafft – Wendy kam erst im Januar in ihren Stall nach Rheinberg.
Wohlgemerkt, noch ist die Nominierung für Paris nicht offiziell, nur Jessica von Bredow-Werndl, die heute unter den Zuschauern war, ist gesetzt. Das Team allerdings hat sich heute, so mein Eindruck, von selbst aufgestellt: Frederic Wandres nutzte mit seinem Bluetooth diese letzte Chance, zeigte deutliche Verbesserung gegenüber dem Grand Prix, bekam 76,851 Prozent, Prämie für seinen Platz drei: 6000 Euro.
Soeben sagte er vor der Presse. „Wir kümmern uns rund um die Uhr um unsere Pferde, wir reiten sie mit tiefer Passion. Wenn es wirklich so sein sollte, dass ich für Paris nominiert werden, dass sich der Traum erfüllt, dann fehlen mir die Worte!“
Und dann erzählte Frederic noch dies: „Nach meinen Fehlern im Grand Prix am Donnerstag hat mir Isabell wirklich sehr geholfen und mir Mut gemacht.“ Auf die Frage, was genau Isabell zu ihm gesagt habe, antwortete er: „Sie hat zu mir gesagt: Reiß‘ dich zusammen!“
Dabei musste Frederic die Niederländerin Dinja van Liere mit ihrer Vita passieren lassen. Platz zwei mit 76,872 Prozent. Prämie 8000 Euro. Ingrid Klimke indessen konnte sich mit ihrem Franziskus nicht steigern gegenüber dem Donnerstag: Platz vier mit 74,596 Prozent. Prämie 4500. Ein Fehler in den Einerwechseln kostete einige Punkte, alles in allem ging Franziskus nicht so dynamisch wie im Grand Prix, wo sie ihre Chance besser nutzen konnte.
Die Nominierung für Paris sieht, Stand jetzt, für mich so aus: Neben der gesetzten Jessica rücken Isabell und ihre Wendy ins Team, sodann Frederic Wandres mit Bluetooth. Ingrid Klimke muss mit der Reserverolle vorlieb nehmen; ich denke nicht, dass sie diese Rolle ablehnen wird. Fragen konnte ich sie bisher dazu nicht. Denn man weiß ja nie…