Aus mancherlei Rückmeldung meiner Leserinnen und Leser weiß ich, wie gerne sie, wenn große Sportevents anstehen, etwas Interessantes erfahren über die bewegte hippologische Geschichte der einzelnen Orte. Deshalb passt es jetzt zu Pfingsten 2023 gut, einen Blick zu werfen auf die grandiose Historie der weltberühmten Piazza di Siena in der Ewigen Stadt – aber ebenso auf den Schlosspark von Wiesbaden-Biebrich, wo auch das beliebte Pfingstturnier die Pferdefreunde magisch anzieht. Volle Tribünen wie beim Derbyturnier in Hamburg vergangenes Wochenende werden wir von morgen an auch in Rom und Wiesbaden sehen – die Magie der Traditionsturnier ist ungebrochen.
Allein die Geschichte der Piazza di Siena, für viele Kenner der schönste Turnierplatz der Welt, füllt diverse Bücher. Wer neugierig ist, der kann sie im Antiquariat via www.zvab.de suchen. Ich begnüge mich hier und heute mit ein paar wichtigen Stichworten: Die Historie des italienischen „Tschio“, wie die Aachener sagen, beginnt 1911 in Tor di Quinto, der Kavallerieschule außerhalb Roms. Den allerersten Nationenpreis auf dem „Concorso ippico“ gewannen die Gastgeber, die just dort den modernen Springstil „erfunden“ hatten: Über dem Sprung den Oberkörper nach vorne, geschmeidig mitgehen in der Bewegung des Pferdes. Zu dieser Zeit saßen deutsche Kavalleristen noch mit krampfhaften Oberkörpern hinter der Bewegung. Schauerliche alte Fotos!
1922 und 1923 gab’s die ersten Springturniere auf der Piazza di Siena im legendären Park der Villa Borghese, einem fürwahr historischen Ort. Das erste internationale Turnier sah man 1926. Seit 1929 läuft der CSIO auf der Piazza di Siena; zwischen 1941 und 1946 erzwang der Weltkrieg eine Pause. Die Coppa Mussolini, Siegerpokal des Nationenpreises, gewannen die deutschen Militärs. Heute finden wir diesen Pokal beim DOKR in Warendorf. Wenn ich ihn sehe, ruft es in mir zwiespältige Gefühle hervor.
Da gefallen mir die Erinnerungen an die Olympischen Reiterspiele 1960 in Rom weitaus besser. Auf der Piazza di Siena holten sich HG Winkler auf Halla, Fritz Thiedemann auf Meteor und Alwin Schockemöhle auf Ferdl damals die Goldmedaille. Im Einzelspringen dominierten die legendären Gebrüder Raimondo und Piero d’Inzeo mit Gold und Silber, Bronze ging an David Broome. Josef Neckermann holte sich Einzelbronze in der Dressur auf einem markanten Pferd namens Asbach – ausgebildet übrigens von Reitmeister Robert Schmidt, meinem späteren Lehrmeister am Turnierstall Eichelkamp am Ohligser Weg in Hilden.
Rasch zurück zur Piazza: Beim Blick auf die ewige Siegerliste im Großen Preis möchte ich mich auf die deutschen Reiter konzentrieren – denn der Sieg fiel ihnen besonders schwer: 1959 gewann HG Winkler auf Halla, 1977 der inzwischen verstorbene Hendrik Schulze Siehoff auf Sarto, 1986 Bernhard Kamps auf Argonaut, 1988 Helena Weinberg auf Just Malone, 1995/96 Franke Sloothaak auf Joly Coeur, 2005 Christian Ahlmann auf Cöster, 2012 Ludger Beerbaum auf Gotha und 2021 David Will auf C Vier. In der Tat eine schmale Erfolgsspur. Der letzte deutsche Sieg im Nationenpreis datiert aus dem Jahr 2012: Beerbaum, Ehning, Kutscher und Ahlmann.
Morgen wär’s mal wieder an der Zeit. Unsere Equipe muss als zweite auf den Parcours. Es reiten Daniel Deusser, Richard Vogel, Jana Wargers und Andre Thieme – Premiere für diese Zusammensetzung. Dotierung 220 000 Euro. Im Großen Preis am Sonntag gibt’s 500 000 Euro.
Flotter Schwenk in den ebenfalls historischen Schlosspark von Biebrich. Dort beginnt die Turniergeschichte, ganz genau betrachtet, erst 1949: Die amerikanische Stadtkommandantur genehmigt die Veranstaltung, deren Gründung auf das Jahr 1929 zurückgeht, damals auf einem Feld der Sportvereinigung Nassau Wiesbaden, später auf der Rennbahn in Erbenheim. Gründungsmentor war der wohlhabende Mäzen Wilhelm Dyckerhoff, Präsident des Reitervereins von 1950 bis 1987. Von 1952 an war das Pfingstturnier international, seit 1958 auch die Dressuren. Bis heute ging’s mit diesem Turnier stets auf und ab. Ohne die Familie Dyckerhoff gäb’s das wohl gar nicht mehr. 2016 feierte man seine 80. Auflage.
Im Zentrum des Interesses stand traditionsgemäß stets am Pfingstmontag der „Große Preis der Spielbank Wiesbaden“. Erster Gewinner war 1958 HG Winkler auf Halla. Danach sehen wir auf dieser Liste viele deutsche Namen: Giebmanns, Steenken, Snoek, Schmitz, Gundel, Runge, Haßmann, Ernst, zuletzt David Will im Jahr 2022. Vor allem die US-Equipen kamen früher besonders gerne nach Wiesbaden – die besondere Atmosphäre beim Schloss hatte es ihnen angetan. Das galt auch für die Dressurelite: 1992 siegte Monica Theodorescu, heute Bundestrainerin, auf Ganimedes, erfolgreichste Reiterin dort ist natürlich Isabell Werth, die 1993 zum ersten Male siegte, seinerzeit auf Gigolo.
Seit 1998 richten die Wiesbadener immer am Pfingstsamstag einen Geländeritt durch den Schlosspark aus – Abschluss einer Vielseitigkeit, die es so auf keinem anderen Turnier gibt. 1998 siegte Andrew Hoy, fünfmal siegte bis heute Michael Jung. Letztes Jahr dominierte Julia Krajewski. Diesmal sind Michael Jung und Julia Krajewski wieder mit dabei, dazu Anna Siemer und Ben Vogg – insgesamt 32 Pferde auf der Startliste. Ein eher kleines Feld. Bei den Springreitern sehe ich Jerome Dubbeldam, Olympiasieger 2000, Weltmeister 2014 und Europameister 2015. Ansonsten ein gut gemischtes Feld mit dem wieder einsatzfähigen Philipp Weishaupt, mit Hansi Dreher, Gerrit Nieberg und Michael Jung.