Eine eherne Regel für uns Journalisten lautet: Mit Namen macht man keine Späße, schon gar keine Kalauer. Schaut man auf die seit dem vergangenen Sonntag im weltweiten Netz kursierenden Fotos des 92. Derby-Siegers Marvin Jüngel, so kommt einem unvermittelt der Gedanke: Dieser junge Mann, erst 21 Jahre alt, müsste eigentlich „Jüngelchen“ heißen. Er ist ein schmales Leichtgewicht. Sein Sieg auf der 14-jährigen Oldenburger Stute Balou’s Erbin war zweifellos eine der Sternstunden in der mehr als hundertjährigen Geschichte des Derbys. Davon wird man noch lange sprechen.

Zwei Tage danach ist die zentrale Frage immer noch offen, viele begeben sich auf die Suche nach einer passenden Antwort: Wer ist eigentlich dieser Marvin Jüngel? Erste Spuren finden sich auf der Internetseite www.sportbuzzer.de. Dort rühmt man sich der Tatsache, dass es sich beim jüngsten Helden der deutschen Springsportgeschichte um einen waschechten Sachsen handle. Tja, was soll ich dazu sagen als gebürtiger Schwabe, Stuttgarter und Baden-Württemberger?

Weil es im Leben halt Fakten gibt, die ganz klar und eindeutig sind, deshalb beharren wir Schwaben aus Prinzip darauf. Und Fakt ist: Marvin Jüngel ist Ende Mai 2001 in Öhringen geboren, also in Baden-Württemberg, nur 25 Kilometer entfernt von Heilbronn. Das ist in etwa so wie folgender Fakt: Richard Vogel, auch einer der aufstrebenden deutschen Jungprofis im Springsattel, stammt aus Oberschwaben, unweit von Ravensburg. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

An dieser Stelle kommt der weltberühmte Michael Jung ins Spiel, geboren am 31. Juli 1982 im hessischen Bad Soden. Natürlich ist Michi Jung im Schwäbischen Horb am Neckar aufgewachsen. Deshalb nennen wir ihn einen Schwaben. Umso mehr grämt es unsereinen, dass wir Marvin Jüngel beim besten Willen keinen „Hohenloher Bub“ nennen dürfen. Denn in den Annalen finden wir folgende unumstößliche Sätze: „Marvin ist im württembergischen Öhringen bei Heilbronn geboren. Er war gerade drei Wochen alt, als seine Familie mit ihm im Juni 2001 ins sächsische Hausdorf bei Kamenz umgezogen ist.“

Dort ist er mit Pferden aufgewachsen, hat die klassische Karriere eines mutigen Ponyreiters durchlaufen, ist zu dem starken Jungprofi geworden, der er heute ist. Hoffentlich behält er seine jugendliche Unbekümmertheit und sein Selbstvertrauen, das man ihm ansieht, wie der da nach dem obligaten Bad im Derby-Wassergraben seinen Pokal gen Himmel streckt. Demnächst wird er, so will es Otto Becker, der Bundestrainer, einen Nationenpreis für Deutschland bestreiten.

Ich bin mir sicher, dass Marvins Derbyerfolg vom vergangenen Sonntag keine Eintagsfliege bleiben wird. Allerdings nur unter einer Bedingung: Die 14-jährige Fuchsstute mit ihren spektakulären Springvermögen hat die Pferdehändler aller Länder bestimmt hellwach gemacht. Es würde mich nicht wundern, wenn die ersten Angebote bereits bei der Familie Jüngel in Kamenz eingegangen wären. Was also tun? Ich seh‘ vor meinen Augen die Familie, rund um den morgendlichen Frühstückstisch sitzend und um eine vernünftige Antwort ringend: Ab einer bestimmten Summe gibt’s wohl nur eine Antwort…

Ob jedoch Marvins dänische Konkurrentin Caroline Rehoff Pedersen für ihren zwölfjährigen Holsteiner Calvin auch so viele Angebote zu gewärtigen hat, wage ich zu bezweifeln, denn dieser ziemlich klobige Holsteiner Wallach von Castelan mal Colman ist nicht gar so leicht zu regulieren, besitzt nicht gerade den flotten Zug nach vorne – überspringt jedoch alles, was man ihm in den Weg stellt. Ich bin sehr gespannt über die weitere Entwicklung auch dieses Paares.

Bliebe zum guten Schluss noch dies anzumerken: Sandra Auffarth hat ihrem 14-jährigen La Vista den vierten Derbyrang erritten, nach einem Abwurf an der Weißen Planke am Fuß des großen Walles. Die Jury hat ihr den mit 10 000 Euro dotierten Sonderpreis für den feinsten Springstil zuerkannt. Rechnet man die 15 300 Euro Platzgeld hinzu, hat Sandra richtig gehandelt: Lieber in den Derbypark nach Hamburg als zum Massenstart der Buschreiter im polnischen Baborowko. Immerhin: Ihr Kollege Christoph Wahler hat dort mit seinem WM-Pferd Carjatan die Vier-Sterne-Prüfung gewonnen, Siegprämie 22 140 Euro, vor Michael Jung/Kilcandra, Prämie 16 621 Euro, und Jerome Robine/Black Ice, Prämie 9997 Euro.