Es ist jetzt zehn Minuten nach Mitternacht – der Samstag ist angebrochen. Im Stadion von Herning läuft die Siegerehrung der 20. Weltmeisterschaft der Springreiter: Die Schweden siegen vor den Niederländern, den Briten, den Iren und den Deutschen. Otto Becker, der Bundestrainer, sagt nach einem dramatischen Wettkampf mit einem spektakulären Flug aus dem Sattel von Andre Thieme: „So etwas habe ich in 14 Jahren noch nicht erlebt. Nur gut, dass wir unser Minimalziel erreicht haben: die Qualifikation für die Spiele von Paris im Jahr 2024.“

Dieser Abend, der aus unerfindlichen Gründen von den Dänen erst um 21 Uhr begonnen wurde und bis nach Mitternacht dauerte – er war nichts für schwache Nerven. Vor fast ausverkauftem Haus mit 10 000 Zuschauern ergab sich ein hoch spannendes Auf und Ab, ein ständiger Wechsel im Kampf um die Medaillen. Nur eines stand von vornherein fest: Die Schweden, Olympiasieger vor einem Jahr in Tokio, waren in der festen Absicht nach Herning gekommen. Henrik von Eckermann, der mit nur 0,58 Punkten die Einzelwertung anführt, dazu Jens und Peder Fredricson sowie Malin Baryard ritten von Anfang an auf Sieg, hatten bis auf Malin keine Schwächen – ein verdienter WM-Titel. Hut ab!

Besonders für die Equipe von Otto Becker wurde der Abend zu einer Zitterpartie mit einer wirklich krassen Überraschung: Andre Thieme, dessen Chakaria von Tag zu Tag besser gesprungen war, übersprang sich im ersten drittel des Kurses unverhofft so enorm, dass ihr Reiter einen Schlag unter den Hintern bekam, sich nicht mehr im Sattel halten konnte.

Wie benommen blieb Thieme eine halbe Minute im Sand sitzen – später sagte er, noch immer konsterniert: „Ich kann es nicht erklären. Ich bin frustriert. Es tut mir so leid für unsere Mannschaft.“ Gottlob war weder dem Pferd, noch seinem Reiter etwas passiert. Und Andre Thieme wandte sich sofort dem „normalen“ Leben zu: „Ich fahre morgen nach Hause, denn meine Tochter Johanna wird an diesem Samstag eingeschult!“

Jana Wargers, die mit ihrem Limbridge eine tadellose Nullrunde gezeigt hatte, sagte: „Der Druck war heute schon enorm. Es war atemberaubend für mich, mir fehlen noch die Worte, um zu beschreiben, wie mein Pferd heute gegangen ist – ich freue mich, dass ich heute helfen konnte. Mein Pferd war frisch bis zum letzten Sprung.“ Wohlgemerkt, Jana hatte vor Thieme geritten.

Mit zwei Abwürfen kamen Marcus Ehning und sein Stargold ins Ziel. „Das war heute nicht mein Tag“, sagte er danach nur lapidar.“ Er sei zu schnell unterwegs gewesen – so sei es zu den Fehlern gekommen. Zugleich sagte Marcus „viele Zeitfehler voraus, weil die Zeit sehr eng bemessen ist.“ Der Parcourschef Louis Konickx hatte, anders als bei normalen Nationenpreisen, für die zweite, entscheidende Runde einen völlig neuen Kurs kreiert.

Zurück zur Einzelwertung, die am Sonntag von 25 Reitern im ersten und den punktbesten zwölf Reitern im zweiten Umlauf entschieden wird. Stand der aktuellen Dinge: Henrik von Eckermann (0.58 Punkte) vor seinem landsmann Jens Fredricson (2.71), Jerome Guery (3.35), Martin Fuchs (4.36), und Max Kühner (4.49). Alle drei deutschen Reiter sind ebenfalls im Finale: Jana Wargers liegt auf Rang 17, Christian Ahlmann auf Platz 18 und Marcus Ehning auf 22.

Mehr Infos unter www.herning2022.com