Heute würde man ihn wohl einen „verrückten Hund“ nennen, damals nannte sie ihn „Cassius“ nach Cassius Clay, der Boxlegende Muhamad Ali. Ja klar, dieser Hartwig Steenken, an den ich hier und heute erinnern möchte, liebte die deutlichen Worte, erklärte ohne Umschweife, dass er der beste Springreiter der Welt sein wollte – seiner Zeit voraus: 1974 gewann er in Hickstead auf Simona den Titel. 1972 hatte er zum Gold-Team bei Olympia in München gezählt. 1977 endete sein Leben auf tragische Weise nach einem Autounfall mit nur 36 Jahren.

Hartwig Steenken, Jahrgang 1941, Sohn eines Landwirts, stammte aus der Nähe von Bremen. 1962 ging er zur Reitausbildung nach Hoya, wo der legendäre Otto Meyer tätig war. Im Sattel wie im Leben war „Cassius“ ein Kämpfer. Im Skatspielen war er ein Genie – Paul Schockemöhle und manch anderer können ein Lied davon singen. Frühzeit ließ sich Steenken vom Amateur zum Berufsreiter umschreiben, wollte für Klarheit sorgen: „Wer sein Geld mit dem Reiten und den Pferden verdient, der sollte auch dazu stehen!“ Clever versuchte er als einer der ersten, seinen Namen und seine Erfolge im Parcours zu vermarkten. Mit der italienischen Spirituosenmarke Campari schloss er einen Vertrag, wollte seine Pferde durchnummerieren „Campari 1, Campari 2, Campari 3 und so fort.“ Doch dazu kam es nicht.

In den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts kämpfte sich Hartwig Steenken von Erfolg zu Erfolg, machte sich bekannt mit der Stute Fairneß. Er reitet für das Gestüt Nehmten des Multimillionärs Herbert Schnapka. Im Sattel wie beim Skatspielen ist er ein Genie. Seine wichtigsten Erfolge: 1971 Europameister in einer Aachener Schlammschlacht auf völlig durchgeweichtem Boden. 1972 Team-Gold in München mit HG Winkler, Fritz Ligges und Gerd Wiltfang. 1973 und 1974 Derbysieger in Hamburg. 1974 Weltmeister auf der von Herbert Meyer ausgebildeten Stute Simona; in seiner Reitkappe steckt ein aktuelles Foto der deutschen Weltmeisterelf im Fußball. 1975 EM-Teamgold in München.

Am 13. Juli 1977 setzt sich Hartwig Steenken nach einem heiteren Abend zu einem Freund ins Auto. Später sagte man, er sei nicht angeschnallt gewesen. Die Freunde prallen gegen einen Baum – Hartwig Steenken fällt ins Koma, stirbt Monate später, am 10. Januar 1978, in Hannover. Eine Tragödie. Seine Pferde werden verkauft, machen Weltkarrieren mit anderen: Deister mit Paul Schockemöhle, Gladstone mit Hugo Simon, Goya mit Fritz Ligges. Der Holsteiner Reiner Hedde reitet Winnetou für den Stall von Brigitte Sittmann (heute Vöster-Alber) in der Nähe von Stuttgart.

Wer im Internet die alten Fotos findet, Hartwig mal mit Alwin, mit Paul, mit Hendrik Snoek, mit Peter Wandschneider, mit Hermann Schridde und all den anderen, der spürt mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, welch ein schwerer Verlust das war für die deutsche Springreiterei. Ich selbst bin ihm als junger Sportjournalist damals begegnet – er bleibt mir unvergessen. Und vielen anderen auch.