Die pferdenärrischen Dänen strömten gestern in Scharen herbei, um im Stadtion von Herning ihren neuen Superstar zum zweiten Male siegen zu sehen: Cathrine Dufour und ihren Vamos Amigos. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Den WM-Titel in der klassischen Tour, dem Grand Prix Spezial, sicherte sich hochverdient die glänzend reitende junge Britin Charlotte Fry auf ihrem elfjährigen Niederländer Glamourdale. 81,508 Punkte für die neue Weltmeisterin und Nachfolgerin von Isabell Werth, 81,322 Punkte für die als Favoritin gehandelte Dänin. Isabell Werth mit Quantaz wurde Vierte mit 79,073 Punkten. Noch ein Gewinner dieses Tages war Benjamin Werndl mit seinem Oldenburger Famoso.

Bereits am Sonntagabend, seien wir ehrlich, gab’s rund um das Viereck allerlei sachkundige Leute, die der Ansicht waren, Carlotte Fry habe auch im Grand Prix die beste Leistung gezeigt. Nach ihrem WM-Sieg sagte sie: „Mir fehlen die Worte. Das war der beste Ritt meines Lebens. Oh mein Gott, ich habe gewonnen – ich werde gleich weinen!“ Derlei Emotionen gehen zu Herzen – aber wenn Charlotte Fry im Sattel sitzt, sind weit und breit keine Emotionen zu sehen, sondern nur ihr Pokerface.

Schon nach der ersten Trabverstärkung, die man eigentlich mit einer Zwölf benoten müsste, stieg das Punktethermometer auf mehr als 82 Prozent. Die Traversalen sind fließend, tänzerisch – wie aus Bronze gegossen. Die Anlehnung bleibt stets gleichmäßig. Allein dieser Ritt war das Eintrittsgeld wert, wenngleich in den Piaffen mitunter der Takt etwas verloren ging. Ganz ohne Frage muss man dieses Gespann, sofern es gesund bleibt, was man nur wünschen kann, bis Paris 2024 auf dem Zettel haben.

Die hohe Favoritin Cathrine Dofour ritt ihren Vamos Amigos mit vollem Risiko, wirkte phasenweise etwas zu hektisch, prompt gab’s einen Patzer in den Zweier-Galoppwechseln. Mit zunehmender Dauer schien der Erwartungsdruck, der auf den beiden lastete, etwas zu schwer. Doch am Ende haderte sie nicht mit dem verpassten Einzel-WM-Titel, sondern freute sich über ihre Silbermedaille: „Heute ist ein Traum für mich in Erfüllung gegangen.“

Ehrlich gesagt, die junge Niederländerin Dinjia van Liere und ihren Hermes hatte ich und hatten viele andere nicht auf der Rechnung. So ehrlich muss man sein. In seiner zweiten starken Runde nach dem Grand Prix  gebärdete sich dieser niederländische Hengst etwas widersetzlich. Aber seine Stärken, etwa im starken Trab, in den Taversalen, bei Piaffe und Passage stechen ins Auge. Mit 79,407 gab’s  verdientermaßen die bronzene Medaille.

Ihr Kampfgeist wird langsam aber sicher legendär. Isabell Werth nahm gestern die Herausforderung an, versuchte alles, um sich den Platz auf dem Treppchen doch noch zu sichern. Mit 79,073 Punkten glückte dies nicht ganz – für sie war’s nach eigenem Bekunden „nur ein Wimpernschlag. Ich bin mit meinem Hengst sehr zufrieden.“ Quantaz besitzt nicht das Charisma eines Glamourdale, muss in Piaffe und Passage mit einigem Nachdruck gefordert werden, schwankt in den Einer-Galoppwechseln zu deutlich hin und her. Ob’s in der Kür zu einer Medaille reicht, glaube ich angesichts der Konkurrenz nicht.

Die erfreulichste Überraschung aus meiner persönlichen, rein subjektiven Sicht waren Benjamin Werndl und sein Famoso – ganz famos! Eine gleichmäßige geschlossene Anlehnung, tolle Trabverstärkungen, Höhepunkte in Piaffe und Passage, eine fehlerfreie Runde – Chapeau! „Das war heute der beste Ritt meines bisherigen Lebens“, sagte Benjamin kurz danach. Ohne jede Nervosität vor der Kulisse, ganz auf sich und sein Pferd konzentriert, stellte Benjamin Werndl sein Pferd vor. Feines Reiten, dem man die grundsolide Ausbildung bei jedem Tritt ansieht. Er hat seine Nominierung vollauf gerechtfertigt und hat nun seinen festen Platz im Kernteam für die EM 2023 und die Spiele in Paris. Der Bruder von Jessica ist aus dem Schatten seiner Schwester herausgetreten, erkämpfte sich Platz fünf bei seiner ersten WM-Teilnahme – eine tolle Leistung!

Die beiden anderen deutschen Teamreiter hatten leider keinen guten Montag. Frederick Wandres  zog seinen Duke of Britain nach Rücksprache mit seinem Chef Uli Kasselmann zurück, weil der Fuchs bereits im Grand Prix erste deutliche Müdigkeit gezeigt hatte. Man hätte diesem Pferd keinen Gefallen getan, ihn im Spezial einzusetzen und zu fordern. Ein vernünftiger Schritt also. Ingrid Klimke und ihr Franziskus kamen ebenfalls an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Am Ende nur Rang 19 und kein Startplatz am Mittwochabend in der Kür. Ingrid selbst sagte: „Heute bin ich wirklich enttäuscht.“ Viel mehr ist nicht zu sagen. Nun will sie versuchen, mit ihrer Siena just do it im letzten Augenblick doch noch einen Startplatz bei der Buschreiter-WM in Pratoni zu ergattern. Das wird schwer, sehr schwer.

Mittwochabend in der Kür für die letzten 15 Akteure wird’s nochmal schwer. Meine Favoritin ist Charlotte Fry, die ihr zweites Gold gewinnen kann. Cathrine Dufour, die ja den Druck so sehr liebt, muss sich etwas einfallen lassen; hoffentlich hat ihr Hengst noch Kraftreserven, sonst geht auch dieser WM-Titel nach England. Es bleibt spannend und wir bleiben ganz nah dran.

Gute Nacht aus Herning!