Diese 15. WM der Dressurreiter im dänischen Herning hat – jedenfalls aus meiner subjektiven Sicht – eine große Siegerin und einen bemerkenswerten Gewinner: Charlotte Fry, die neue zweifache Weltmeisterin, mit ihrem strahlenden Hengst Glamordale und Benjamin Werndl, der mit seinem Famoso im Spezial Fünfter, in der Kür sogar Vierter wurde. Er hat sich in der Weltspitze etabliert. Dickes Kompliment! Herning 2022 wird sich, was die Dressur angeht, als eine WM der Zeitenwende in die Analen einschreiben. Und das nicht nur aus deutscher Sicht.
Vor nahezu ausverkauftem Haus war das Kürfinale am späten Mittwochabend der Höhepunkt und der Schlusspunkt dieser WM. Ein glanzvoller Abend ohne Frage, eine Werbung für die Dressur weit über Dänemark hinaus. Gleichwohl ein Wettkampf des Übergangs und des Neuaufbaus. Charlotte Fry, in England geboren, nach dem Krebstod ihrer Mutter vor zehn Jahren von ihrem Entdecker Carl Hester zu Anna van Olst in den Niederlanden vermittelt – so hat sich die 26-Jährige mit cleverer, ja cooler Reiterei in die Herzen der Fans hineingeritten. Ihr Rapphengst ist das Traumpferd schlechthin. Er besitzt so viel Charisma, dass alle Augen im Stadion, vom Einreiten bis zum Ausreiten, nur auf ihn gerichtet sind.
Charlotte Fry agiert im Sattel absolut professionell – vor Kameras, Mikrofonen und auf dem obersten Treppchen strahlt und winkt sie wie ein freches Mädchen, freute sich nach ihrer fast fehlerfreien Kür darüber, „dass die Leute meine Musik mitsingen“. Carl Hester wiederum darf für sich in Anspruch nehmen, nach seiner Entdeckung und Förderung von Charlotte Dujardin nun eine zweite Topreiterin mit an die Weltspitze gebracht zu haben. Dass es im Tagesgeschäft nicht immer nur Siege gibt, mussten er und Charlotte Dujardin zur Kenntnis nehmen, als ihr erst neunjähriger Imhotep zwar alles richtig machen wollte, es aber auf dem Viereck nicht konnte. Rang zehn.
Auf Rang neun ging Isabell Werth mit ihrem Quantaz durchs Ziel. Vor vier Jahren in Tryon verhinderte die Warnung vor einem Orkan die WM-Kür und Isabells Siegchance. Das ist nach wie vor schade. „Es war heute gut, aber nicht super“, bekannte sie freimütig. Das erste Mal die neue Kür zu reiten – es konnte nicht auf Anhieb ohne Mühe klappen. Die Hoffnung ihrer Fans, sie würde womöglich die Bronzemedaille erkämpfen, erfüllte sich nicht. Monica Theodorescu, die Bundestrainerin, lobte: „Dass Quantaz nicht den allerbesten Schritt hat, das wissen wir. Dazu noch zwei Fehler. Ansonsten war es eine sehr gute Vorstellung.“ Bleibt sporthistorisch doch festzuhalten, dass Isabell Werth wohl zum ersten Male in ihrer langen Weltkarriere von einer wichtigen Meisterschaft ohne Einzelmedaille heimgekehrt ist. Ein Merkzeichen.
Allerhöchstes Lob spendete die Bundestrainern völlig zurecht an Benjamin Werndl: „Benjamin hat ein tolles Championat geritten, sich an der Weltspitze etabliert. Was mir besonders an ihm gefällt, ist die Tatsache, dass er die klassische Reiterei pflegt, die grundsolide Ausbildung seines Pferdes.“ Er selbst sagte nach diesen für ihn denkwürdigen Tagen: „Es ist für mich unglaublich, was mein Famoso für mich leistet. Das Flutlicht in diesem großen, voll besetzten Stadion war für ihn neu. Trotzdem war er in jedem Augenblick konzentriert bei der Sache.“ Schade, dass Werndl nicht mit der Bronzemedaille belohnt wurde: von seinen 85,893 Punkten zu den 86,900 Punkten der Niederländerin Dinja van Liere mit Hermes ist es nicht allzu weit. Benjamins Zeit wird kommen, da bin ich mir ganz sicher.
Blicken wir auf den gesamten Auftritt „unseres“ deutschen Teams: Umbruch und Neuaufbau kosten Zeit und Kräfte, verbunden mit mancherlei Niederlagen. Die Bronzemedaille in der Mannschafts-WM ist zu loben, sichert den Startplatz in Paris. Ferderic Wandres, dessen Duke of Britain in der Aachener Soers seine Topform hatte, musste nach dem Grand Prix aufgeben, weil sein Fuchs sichtbar keine Kraft mehr hatte. Ingrid Klimke verpasste den Einzug in die Kür – so einfach ist es nun auch wieder nicht, sich binnen weniger Wochen in der Szene der etablierten Könner zu behaupten.
Nochmal der Blick nach vorn: Charlotte Fry ist für mich, Stand heute, die Favoritin für die Dressur-EM 2023 bei Ludger Beerbaum in Riesenbeck sowie für olympisches Edelmetall 2024. Es wir spannend sein zu beobachten, ob und wie Jessica von Bredow-Werndl mit ihrer Dalera auf die große Bühne zurückkehrt – womöglich in diesem Herbst und hoffentlich in der Stuttgarter Schleyerhalle Mitte November. Das wäre prima. Die hoch gehandelte Cathrine Dufour musste vor eigenem Publikum hinnehmen, dass ihr großer Traum, nämlich dreimal WM-Gold zu gewinnen wie weiland 2010 Edward Gal mit Totilas, nicht in Erfüllung ging. Sie nahm die Niederlagen souverän und fair.
Woran man auch erkennen kann, das wir hier in Herning eine WM des Übergangs erlebt haben, zeigen die wesentlichen Noten: In der Kür kam nur Charlotte Fry auf das Niveau von 90 Prozent. Nur eine Handvoll Pferd rangierte über 80 Prozent. Die von der FEI so vehement, ja fast panisch geforderten „More flags“, also so viele Nationen wie nur irgend möglich – politisch mag das ja erstrebenswert sein, rein fachlich aber ist es Quatsch: 93 Pferde im Grand Prix, verteilt auf zwei ermüdend lange Tage – das ist nicht der Stein der Weisen. Und denken wir daran: 2024 in Paris wird ein Dressurteam wieder nur aus drei Pferden bestehen, Streichergebnis Fehlanzeige.
Grüße aus Herning bei strahlendem Sonnenschein!