Zwei Monate vor der WM der Buschreiter in Pratoni del Vivaro bei Rom hat der DOKR-Ausschuss für die Vielseitigkeit eine sogenannte Longlist veröffentlicht. Überraschend daran ist die Tatsache, dass diese Longlist zum ersten Male in vier Blöcke aufgeteilt wurde. Bei der Durchsicht zeigt sich sofort, dass es dabei um Prioritäten geht. Nach ihrem schwachen Abschneiden mit Siena just do it in der Soers findet sich Ingrid Klimke lediglich im Block drei wieder.
Wer warum, weshalb und wieso auf die Idee gekommen ist, die uralte Linie der Longlist im aktuellen Fall der Buschreiter aufzugeben und eine völlig neue Lesart einzuführen – wir werden es womöglich nie erfahren. Fest steht immerhin: Im Anschluss an den „Tschio“ hat der Ausschuss in Aachen getagt und am Sonntag um 17.40 Uhr via FN-Pressestelle die neue Einstufung der besten deutschen Reiter und Reiterinnen in der Vielseitigkeit veröffentlicht.
Block eins: Sandra Auffahrt mit Viamant du Matz, Michael Jung mit FischerChipmunk und Julia Krajewski mit Amande de B’Neville. Block zwei: Sophoe Leube mit Jadore Moi, Dirk Schrade mit Casino und Christoph Wahler mit Carjatan. Block drei: Nikolai Aldinger mit Timmo, Ingrid Klimke mit Siena just do it und Anna Siemer mit Avondale. Block vier: Arne Bergendahl mit Luthien, Andreas Dibowski mit Brennus, Heike Jahncke mit Mighty Spring und Andreas Ostholt mit Höhenflug. Die Shortlist gibt’s nach dem Pflichtstart in Haras du Pin Mitte August.
Der reinen Logik nach ist uns allen klar, wohin die Reise unter dem neuen Bundestrainer Peter Thomsen geht. Ein klares Statement: Auffarth, Jung und Krajewski – die aktuellen deutschen Aushängeschilder – dürfen sich als gesetzt betrachten. Sophie Leube und Dirk Schrade, sie in Aachen, er in Luhmühlen stark, haben die Plätze vier und fünf. Die anderen kommen nur dann ins Geschäft, wenn vorne einer/eine ausfällt. Ob in Haras du Pin wirklich alle antreten, das wage ich aus heutiger Sicht zu bezweifeln. Es ist aber auch nicht so wichtig.
Blicken wir noch einmal etwas genauer hin: Sandra Auffarth profitierte in der Soers von Michael Jungs Missgeschick mit der Begrenzungsflagge: Der Reitmeister aus Horb, den wir alle als Perfektionisten kennen und schätzen, reitet auf seinen Kursen mit höherem Tempo als die meisten anderen – also auch mit höchstem Risiko. Dafür zahlt er hier und da Lehrgeld – in Aachen sagte er auf die Frage, welche Konsequenzen er ziehe, nur dies: „Das nächste mal präziser reiten!“ Auf die Tatsache, dass einige der „lieben Kollegen“ bei der Jury interveniert hatten, ihm den Sieg abzuerkennen – darauf geht Michael Jung gar nicht ein. Einen Protest legte er nicht ein. Vater Joachim Jung deutete an, er kenne die Namen, werde sie aber keinesfalls nennen.
Schade für Ingrid Klimke. Sie hatte sich für den „Tschio“ besonders viel vorgenommen, wollte in Dressur und Vielseitigkeit für Deutschland glänzen. Daraus wurde nichts. Ich finde, die so erfahrene Reitmeisterin hat sich und ihren Pferden zuviel zugetraut und zuviel zugemutet. Der VS-Ausschuss hat sie nur in Block drei eingestuft. Das ist eindeutig: Wenn’s normal läuft und keine Ausfälle gibt, wird sie die WM von daheim aus beobachten müssen. Ihr Pferd ist einfach noch nicht so weit. Der Dressurausschuss hat sie und ihren Franziskus auf die Longlist gesetzt, obwohl ihre Ritte im Dressurstadion nicht restlos überzeugen konnten. Das letzte Wort im Blick auf die WM in Herning ist noch nicht gesprochen.
Zum Schluss noch etwas, das mir am Herzen liegt: Den Aachener Geländeritt sollten wir alle kritischer sehen als es bisher der Fall war. Zugegeben, der Unfall mit Rosalind Canters Allstar war großes Pech. Es schadet dem Sport schwer. Kein Pech aber war die letzte Linie der Sprünge im großen Stadion: Felix Vogg stürzte beim Einschwenken ins Stadion und blieb mit Glück unverletzt. Am Wassereinsprung gab’s einen Sturz und allerhand schlechte Bilder – der Boden im Teich war viel zu tief, offenkundig nicht gut präpariert; dort hätte weitaus mehr passieren können.
So etwas darf sich in der Soers nicht wiederholen! Der erfahrene Reitmeister Wolfram Wittig sagte es mir so: „Der Geländeritt muss außerhalb des Stadions entschieden werden, im Stadion selbst darf es nur noch einen schwungvollen Schlussgalopp geben. Mit Stürzen und schlechten Bildern ist niemandem gedient. Das wollen die Leute nicht sehen. Außerhalb des Stadions nicht, innerhalb auch nicht.“ Er hat recht: Vor 30 000 Zuschauern darf das Ende des Kurses keine Klippen mehr bringen oder einen Teich, der viel zu tief ist. Da müssen sich Rüdiger Schwarz und sein Team übers Jahr etwas einfallen lassen. Es darf nicht nach dem Motto verfahren werden: Gelobt sei, was hart macht…