Die Älteren unter uns werden sich erinnern: „Wo bleibt Behle?“ So fragte einst der TV-Sportreporter Bruno Morawetz, denn der Skilangläufer Jochen Behle kam und kam nicht – die Nation bangte damals vor den Bildschirmen heftig mit. Die Frage, wo bleibt Behle? – sie ist Kult bis in unsere Tage. Ich wage hier und heute den philosophischen Rückgriff darauf und frage ganz aktuell: Wo bleibt Jessica? Antwort: Ab 18. Oktober darf sie wieder starten.  

Eigentlich, wir alle wissen das, wollte Jessica von Bredow-Werndl am vergangenen Wochenende beim Turnier vor dem Seeschloss Monrepos in Ludwigsburg wieder in den Turniersport einsteigen – Babypause vorbei. Pustekuchen! Die FEI, unser famoser Weltverband, erteilte ihr keine Starterlaubnis. Begründung: Mutterschutz. Jessica hatte am 18. August der kleinen Ella das Leben geschenkt. Wie schön. Doch für unsere Olympiasiegerin von Tokio und Europameisterin fühlen sich die rein sportlichen Folgen an wie eine Strafe.

Auf ihrer Internetseite lesen wir folgendes: „Ich hatte mich auf mein Comeback nach der Babypause gefreut, doch meine Teilnahme wurde nicht genehmigt. Die FEI hat mir – aufgrund ihrer Auffassung der Regelung zur ‚Maternity Leave‘ – die Startgenehmigung verwehrt. Während meiner Schwangerschaft hatte ich bei der FEI eine ‚Maternity Leave‘ beantragt, das bedeutet, dass für den Zeitraum meines Mutterschutzes 50 Prozent meiner Punkte für die Weltrangliste bestehen bleiben. Nach Auslegung der FEI darf ich aber in diesem Zeitraum nicht auf Turnieren starten.

Ich habe mich mit der FN beraten – wir teilen die Auffassung der FEI nicht. Unsere Interpretation der Regelung ist, dass wenn Athletinnen den Mutterschutz beantragen, die FEI mindestens sechs Monate gewähren muss. Es ist aber nicht geregelt, dass eine Athletin auch diese sechs Monate pausieren MUSS! Die Sportlerinnen sollten ihren Mutterschutz auch früher beenden dürfen. Mit dem Monat, in dem sie das erste Mal wieder starten, endet der Erhalt der bestehenden Punkte aus dem vorherigen Anrechnungszeitraum.

Ich kenne das Reglement und hätte mit einem Start in Ludwigsburg in Kauf genommen, die entsprechenden Ranglistenpunkte zu verlieren. Jetzt gar nicht starten zu dürfen, finde ich schlichtweg ungerecht! Ich kann die Entscheidung angesichts des Wortlauts der FEI-Regelung nicht nachvollziehen. Ich bin davon ausgegangen, dass ich durch den bewussten Verzicht auf die Anrechnung der Weltranglistenpunkte auch wieder starten kann.

Da vor dem Turnier in Ludwigsburg nicht mit einer Entscheidung des FEI-Tribunals zu rechnen war, habe ich mich mit der FN abgestimmt und darauf verzichtet, vor das FEI-Tribunal zu ziehen, um dort  um meinen Start zu kämpfen. Ich musste also meine Teilnahme (auch national) bedauerlicherweise zurückziehen und war sehr traurig darüber, dass ich meine Pferde nicht an den Start bringen konnte.“

Soweit Jessica von Bredow-Werndl. Blickt man mit gesundem Menschenverstand auf diesen Fall und seine Folgen, so geht es, einfach ausgedrückt, um folgendes: Für die FEI ist das Thema Ranglistenpunkte weitaus wichtiger als die erfreuliche Tatsache, dass Spitzensportlerinnen Kinder zur Welt bringen. Zu Jahresbeginn hatte, manche erinnern sich, die Springreiterin Janne Friederike Meyer-Zimmermann genau das selbe Problem. Auch ihr wurde wg. Mutterschutz der frühe Start nach der Babypause verboten. Sie hat, kurz gefasst, wenig später auf viele Ranglistenpunkte verzichtet – Otto Becker, der Bundestrainer, hat ihr aus der Kalamität geholfen, sie Kraft Amtes für die großen Turniere nominiert.

Wichtig zu wissen an dieser Stelle: Wir interessierte Laien blicken Monat für Monat mit Neugier auf die neuen Weltranglisten. Was aber die meisten von uns nicht bedenken – oder gar nicht wissen – diese Weltranglisten sind  keine Spielerei, sondern sozusagen bitterer Ernst für die Aktiven: Denn die Position auf diesen Listen entscheidet mit darüber, wo man starten darf.

Kleines Beispiel: In vielen Ausschreibungen der Topturniere finden wir den lapidaren Satz „Teilnehmen dürfen die ersten zehn der aktuellen Weltrangliste.“ Wer die notwendigen Punkte nicht hat oder etwa wegen Schwangerschaft verliert, der hat eben Pech gehabt. Janne Friederike Meyer-Zimmermann brachte in diesem Zusammenhang sogar den Begriff „Berufsverbot“ in die Debatte. Ich halte das für legitim. Der Profisport ist schließlich kein Wunschkonzert.

Wie geht’s weiter? Die FEI hat immerhin versprochen, sich um die Dinge zu kümmern. Offensichtlich hat man in Lausanne erkannt, dass da was nicht stimmt. In den schier unendlichen Tiefen ihrer Internetseite „fei.org“ findet sich diese Notiz hinter ihrem Namen: „Not competing from 18.04.2022 to 18.10.2022! (Eine aufmerksame Leserin hat mich darauf hingewiesen: Vielen Dank dafür!)  Wichtig bleibt: Regeln, die sich gegen die reitenden Frauen richten und von ihnen als grobes Unrecht empfunden werden, müssen wo rasch es geht auf den kritischen Prüfstand. Gerade was Jessica von Bredow-Werndl betrifft, so hat sie klipp und klar gesagt: „Mein nächstes Ziel ist das Weltcupfinale in Omaha/Nebraska!“

Das bedeutet, dass sie beispielsweise im November beim German Masters in Stuttgart antreten muss, um sich ihre ersten Punkte zu holen. Hätte man ihr das erneut verwehrt, wäre die Chancengleichheit gegenüber der Konkurrenz nicht mehr gewahrt worden. Zum Schluss nochmal meine Eingangsfrage: Wo bleibt Jessica? Hoffentlich sieht man sie bald dort, wo sie alle ihre Fans am liebsten sehen möchten – auf dem Viereck!