Die deutschen Springreiter, ein Aushängeschild der Republik im olympischen Spitzensport, galoppieren immer öfter hinterher. Ein Zeugnis für den Abwärtstrend: In der Weltrangliste findet sich erstmals seit 30 Jahren keiner unter den Top 10. Eine Bestandsaufnahme.
Otto Becker gibt sich gelassen und pragmatisch, aber man spürt, wie es rumort im Innersten des Bundestrainers: „Ich hab geahnt, dass es so kommen könnte – aber wenn’s Gewissheit wird, tut es ziemlich weh!“ Nur ein Jahr nach der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Rio blicken die Fans – auch beim 33. German Masters an diesem Wochenende in der Stuttgarter Schleyerhalle ernüchtert auf die Fakten: Zum ersten Male steht auf der vor 30 Jahren kreierten, jeden Monat neuen Weltrangliste der Springreiter kein deutscher Name unter den ersten zehn; das war im Oktober so, auch jetzt im November.
Die deutschen Springreiter, seit Jahrzehnten ein Aushängeschild für die Republik im olympischen Spitzensport, reiten immer öfter hinterher. Trotz mancher Erfolge im Tagesgeschäft – nachhaltige Besserung ist nicht in Sicht. Die aktuelle Weltrangliste sieht aus deutscher Sicht so aus: Christian Ahlmann und Daniel Deusser liegen als beste gemeinsam auf Rang 14, Marcus Ehning folgt auf Platz 22, Ludger Beerbaum ist auf 33 zurückgefallen. Die Plätze 51 und 52 belegen Philipp Weishaupt und Felix Hassmann, zwei etablierte Jungprofis.
Hans Dieter Dreher, seit Jahren der beste Baden-Württemberger, ist nach guten Jahren jetzt nur auf Platz 99. Meredith Michaels- Beerbaum, zu Zeiten des legendären Shutterfly eine Zeit lang die Nummer eins der Welt, hat nach Rio ihr Olympiapferd Fibonacci in die USA verkauft – aktuell hängt sie unter ferner liefen auf Rang 144, hat kurzfristig ihren Startplatz in Stuttgart mit ihrem Mann Markus Beerbaum getauscht. Der Bundestrainer Otto Becker, seit 2009 im Amt, weiß genau, woran es liegt, dass seine „Jockeys“ häufig nur die Hinterhufe der Konkurrenz zu sehen kriegen:
„Uns fehlen leider die überragenden Pferde. Wir können, weil es am Geld mangelt, international nicht mehr so gut mithalten. Die Ausländer, etwa Amerikaner oder auch die Araber, kaufen auf unseren Auktionen oder bei unseren Züchtern und Handelsställen die Talente weg, den Markt leer.“
Es mangle an Sponsoren und Mäzenen – wie etwa einer Madeleine Winter-Schulze, die Ludger Beerbaum und seine Angestellten beritten macht, oder deren Schwester Marion Jauß, die Christian Ahlmann unterstützt. „Spitzenpferde sind leider rar, umso heißer begehrt und deshalb sündhaft teuer: siebenstellig, ganz klar!“, sagt Otto Becker. Die Probleme waren schon vor der Saison vorherzusehen. Otto Becker sprach im Frühjahr von einem „Jahr des Übergangs“.
Der Grund: Ludger Beerbaum (54), mittlerweile mehr Geschäftsmann als Turnierreiter, beendete seine Karriere in der Nationalequipe. Seine Schwägerin Meredith hat ihr einziges Spitzenpferd an ein US-Girl verkauft. Daniel Deusser, der für einen belgischen Handelsstall in den Sattel steigt, verlor im Juni sein Klassepferd First Class durch eine tragische Darmkolik. Christian Ahlmanns Pferde Taloubet und Codex One haben den Zenit ihrer Leistungskraft überschritten.
Auch Marcus Ehning, vor Jahren die Nummer eins der Rangliste, tut sich schwer, den Anschluss nicht zu verlieren. Der Mannheimer Peter Hofmann, rühriger Macher der traditionsreichen Maimarktturniere und zugleich im Vorstand des deutschen Reiterverbandes für den Spitzensport in allen Sparten zuständig, sagt:
„Bei unseren Springreitern sehen wir zwei Probleme, die sich doppelt negativ auswirken: Zum einen sind sie so viele Wochenenden auf den Turnieren unterwegs, dass ihnen keine Zeit bleibt, ihre jungen Pferde daheim mit Geduld und Ruhe auszubilden, sie in den großen Sport zu führen. Zum anderen kosten die fertig ausgebildeten Springpferde Millionen – im Ausland werden solche Summen bezahlt. Ich empfinde es als obszön, wie viel Geld in diesem Markt steckt.“
Allerdings, was weder Otto Becker noch Peter Hofmann offen sagen: Die von dem Niederländer Jan Tops, Mannschafts- Olympiasieger von 1992, kreierte Global Champions Tour mit ihren 15 weltweiten Qualifikationen und dem Abschlussturnier (am vergangenen Wochenende) in Katars Hauptstadt Doha – diese mit Millionen an Preisgeldern dotierte Serie lockt die Sattelstars, absorbiert die Kräfte ihrer Spitzenpferde mehr und mehr.
Nur drei deutsche Reiter kamen dieses Jahr in die Endabrechnung: Christian Ahlmann kassierte als Vierter 76 000 Euro, für Daniel Deusser (9500 Euro) und Marco Kutscher (7125 Euro) blieb unterm Strich nur wenig. Trotz der umstrittenen Globaltour und obwohl der jährliche Turnierkalender immer dichter wird – die Preisgelder steigen und steigen. Otto Becker sagt: „Ich bin froh, dass meine Reiter für mich und den Verband da sind, wenn es um die traditionellen Nationenpreise geht.“
2016 siegte seine Equipe im lukrativen Finale von Barcelona, wo Ludger Beerbaum sein letztes „Länderspiel zu Pferd“ absolvierte, übrigens 24 Jahre nach seiner olympischen Goldmedaille auf Classic Touch an gleicher Stelle. Im Finale 2017 vor wenigen Wochen reichte es für Beckers Equipe nur zum siebten Rang. Abwärtstrend, wohin man schaut. Es kommt aber noch schlimmer: Anfang Dezember steht in der riesigen Messe von Genf das 17. Top-10-Finale der Springreiter an; allein siebenmal siegten dort die deutschen Farben, die Beerbaums, Ehnings und Ahlmanns, zuletzt Daniel Deusser 2013.
Nun herrscht Finsternis: Nicht einmal unter den möglichen Nachrückern findet sich ein deutscher Name. Doch damit nicht genug: Am 2. Dezember feiert der neu kreierte Riders Masters Cup in Paris seine Premiere, quasi ein „Erdteilkampf“, wie man ihn von den Golfern kennt: Europa gegen die USA, erst in Paris, das „Rückspiel“ in New York. Teamchef diesseits des Atlantiks ist der Schweizer Philippe Guerdat, Nationaltrainer von Olympiasieger Frankreich sowie Vater von Steve Guerdat, dem Olympiasieger von London.
Der 65-jährige Trainer mit dem goldenen Händchen hat für die fünfköpfige Equipe der Europäer keinen deutschen Profi auf dem Zettel. Nur die 23-jährige Laura Klaphake aus dem Stall von Paul Schockemöhle mit ihren Toppferden Catch me if you can und Silverstone ist eingeladen. Beide Pferde, so viel ist wenigstens sicher, bleiben bis Tokio 2020 unverkäuflich, das hat Besitzer Paul Schockemöhle seinem Freund Otto Becker fest versprochen.
An dieser Stelle geht ein Lächeln über das Gesicht des Bundestrainers: „Wir haben nur eine Chance, die Dinge zum Guten zu wenden, indem wir auf die jungen Leute setzen. Das tun wir seit Langem. Sie müssen mit ihren Pferden in den großen Sport hineinwachsen.“ Blickt man auf die Startliste beim Turnier in der Schleyerhalle, so findet man durchaus die Handschrift des
Bundestrainers: Etwa Simone Blum (29) aus Bayern mit ihrer Alice, einem „Weltpferd“, wie die Reiter sagen.
Dazu kommen Maurice Tebbel aus Emsbüren, Denis Nielsen aus München, Jörne Sprehe aus Fürth, Patrick Stühlmeyer aus Georgsmarienhütte und auch Niklas Krieg aus Villingen. Sie sind die „jungen Wilden“ des deutschen Springsports. „Ich bin optimistisch, dass wir aus der Talsohle wieder herausfinden“, sagt Otto Becker über die härteste Herausforderung seiner Amtszeit.