Isabell Werth triumphiert, aber Sönke Rothenberger tastet sich heran.
Als die Nationalhymne erklingt, kommen Isabell Werth die Tränen. Später sagt sie: „Es war für mich eine Woche voller Emotionen. Ich habe nahe am Wasser gebaut.“ Mit 14 EM-Medaillen auf dem Konto war die 48-Jährige aus Rheinberg am Niederrhein zu dieser 28. Dressur- EM seit 1965 nach Göteborg gereist. Ihr Credo: „Es macht mir großen Spaß, junge Pferde zu entdecken, ihre Talente zu entwickeln. Meine Stute Weihegold ging in diesen Tagen nahezu fehlerlos.“
Die härteste Konkurrenz erwächst Isabell Werth aus den eigenen Reihen: Sönke Rothenberger aus Bad Homburg, dessen Eltern Gonnelien und Sven für die Niederlande Titel und Medaillen holten und auf dem Gestüt Ehrlenhof in Bad Homburg einen privaten Turnierstall betreiben. Der Einsneunzigmann mit dem Schalk im Nacken hat der Dressurkönigin Werth in den Tagen von Göteborg den Kampf angesagt – rein sportlich, versteht sich:
„Als kleiner Junge hab’ ich mit meinen Eltern auf den Turnieren immer Isabell beobachtet und bewundert. Jetzt sitze ich bei der EM hier neben ihr, habe mit ihr im Team Gold gewonnen und im Einzel zweimal Silber. Die Kürmedaille ist für mich wie Silber mit Goldrand.“
Das Dressurreiten, so sagt er, sei „wie das Jonglieren mit den Tellern im Zirkus. Im Kürfinale ist mir nur ein Teller runtergefallen.“ Kein Zweifel, diesem Sönke Rothenberger und seinem zehnjährigen Wallach Cosmo gehört die Zukunft auf dem 20 mal 60 Meter großen Dressurgeviert. Im sogenannten Grand Prix Spezial, der traditionellen klassischen Tour, siegte Isabell Werth mit 83,613, Rothenberger kam bis auf 82,478 an sie heran.
In der Kür am Samstag kam es zum ersten, geradezu dramatischen Zweikampf: Rothenberger riss mit dem besten Ritt seiner noch jungen Karriere die 15 000 Zuschauer im Ullevi-Stadion mit seiner Galopptour, seinen spektakulären Trabreprisen zur eigens komponierten Musik von den Sitzen, die sieben Kampfrichter gaben ihm 90,614 Wertungspunkte, zwei von ihnen setzten ihn auf ihren Zetteln an die Spitze. Ein deutliches Signal.
Mit der Erfahrung, der Routine und dem sprichwörtlich Werth’schen Kampfgeist konterte die „Königin von Göteborg“, wie man sie in diesen Tagen nannte, den Angriff der unbekümmert-motivierten Jugend. Der etwas höhere Schwierigkeitsgrad und die absolute Fehlerlosigkeit und Harmonie in der Musik, mit der sie ihre Stute präsentierte, machten am Ende den kleinen Unterschied: 90,982 Punkte – das siebte Einzelgold ihrer EM-Karriere. Werths Kommentar:
„Heute war’s wirklich ein Thriller und ein super Nachmittag. Jeder von uns puscht den anderen.“
Voller Emotionen war auch Monica Theodorescu, die Bundestrainerin. Seit die dreifache Olympiasiegerin mit der Mannschaft nach den Olympischen Spielen von London 2012 das Zepter übernommen hat, haben sich junge Reiter wie Sönke Rothenberger, Kristina Bröring-Sprehe, aber auch erfahrene Profis wie Dorothee Schneider und Helen Langehanenberg an der Weltspitze etabliert: „Unglaublich, zwei unserer Pferde über der magischen Marke von 90 Prozent – das macht mich sehr stolz.“
Der neue Europameister der Springreiter heißt Peder Fredricson auf All In. Der 45-jährige Profi, vor einem Jahr in Rio Silbergewinner, bescherte seinen schwedischen Landsleuten den ersten Titel in diesem 1957 gegründeten Wettkampf – beklatscht von König Carl Gustaf und Königin Silvia. Silber und Bronze gingen an den Niederländer Harry Smolders und den Iren Cian O’Connor. Marcus Ehning und sein Pret a Tout beendeten die EM auf dem guten sechsten Rang.
Philipp Weishaupt und sein Convall hatten im Finale einen Blackout, fielen auf den zwölften Platz zurück. Sein Schimmel steht zum Verkauf, soll aber für seinen Reiter gesichert werden.
Viel Glanz und ein Sorgenkind
Ein Jahr nach Olympia und ein Jahr vor den Weltmeisterschaften in den USA präsentieren sich die deutschen Reiter stark – leider nicht überall.
Michael Jung, der beste Buschreiter der Welt, hat die Europameisterschaften von Strzegom längst abgehakt, sattelt diese Woche seinen legendären Sam im englischen Burghley, wo die Queen als passionierte Pferdezüchterin genau beobachtet, ob der rasende Schwabe einmal mehr die Weltelite düpiert. Die deutschen Buschreiter mit Michael Jung und Ingrid Klimke an der Spitze, der neuen Europameisterin, sind ein erfreuliches Markenzeichen. Ein Aushängeschild für den hiesigen Spitzensport bleiben auch die Dressurreiter.
In Göteborg gingen alle drei Goldmedaillen nicht unerwartet an Isabell Werth. Bemerkenswert ist nicht so sehr die Tatsache, dass die 48-Jährige mal wieder triumphierte, sondern ihr kämpferische Reiten – nach fast drei Jahrzehnten an der Weltspitze. Chapeau! Wenn Werth nach den Olympischen Spielen von Tokio 2020 womöglich ihre Karriere beendet, stehen mit Sönke Rothenberger und anderen die Nachfolger bereit. Die Springreiter sind ein wenig das Sorgenkind.
Ihr Weg zurück an die Weltspitze wird dauern, der Ausstieg von Ludger Beerbaum und das Fehlen junger Spitzenpferde machen sich bemerkbar. Christian Ahlmann, Daniel Deusser und auch Meredith Michaels-Beerbaum sind aufgefordert, nicht nur ans dicke Preisgeld zu denken, sondern auch an die Nationalequipe. Nur gut, dass Philipp Weishaupts Convall ihm erhalten bleibt. Und gut, dass Bundestrainer Otto Becker bei der EM jungen Talenten eine Chance gegeben hat. Den Namen Laura Klaphake, 23 Jahre jung, wird man sich unbedingt merken müssen.